Ballaststoff
Locken wirkte sehr durcheinander und tat dem Kommissar fast leid. Anja-Lena streichelte ihr hin und wieder beruhigend die Hand.
»Frau Stein, hier reißt Ihnen doch niemand den Kopf ab. Beantworten Sie einfach wahrheitsgemäß unsere Fragen. Mehr verlangen wir gar nicht«, sagte sie in freundlichem Ton.
Die junge Kollegin macht das sehr gut, fand Angermüller. Die Zusammenarbeit mit ihr war insgesamt sehr angenehm durch ihr ausgeglichenes Naturell und ihre zugewandte Art. Vor zwei Jahren hatte sie von der Schutzpolizei in die Lübecker Bezirkskriminalinspektion gewechselt und war inzwischen auf dem Weg zur Kriminalhauptmeisterin. Die ersten Monate waren eine harte Prüfung für die große, natürlich aussehende Frau mit dem strohblonden Zopf gewesen, da sie ausgerechnet Andreas Meise von der Kriminaltechnik zugeteilt worden war. Dieser war bekannt und verrufen für sein Machogehabe und seine frauenfeindlichen Sprüche. Doch Anja-Lena hatte sich davon nicht irritieren lassen und Ameise des Öfteren vor versammelter Mannschaft in die Schranken gewiesen.
»Möchten Sie vielleicht etwas trinken? Ein Wasser, einen Kaffee?«, fragte sie die Frau, die sich mit vor der Brust gekreuzten Armen zusammenkauerte, als ob sie sich auf die Weise unsichtbar machen könnte.
»Kaffee, bitte«, kam es leise von Peggy Stein. »Und wenn ich rauchen dürfte?«
»Na klar. Ich hol Kaffee. Sie auch einen, Chef?«
Obwohl er dem Zeug aus dem Automaten nicht viel abgewinnen konnte, sagte Angermüller Ja. Vielleicht diente es der Vertrauensbildung, gemeinsam von dieser Plörre zu trinken. Während Anja-Lena draußen war, drehte sich die Musikerin eine Zigarette. Ihre Bewegungen waren noch fahriger als am Vortag.
Scheinbar wirkten sich aber das Rauchen und Trinken tatsächlich positiv auf die Aussagewilligkeit Peggy Steins aus. Als sie den ersten Schluck genommen hatte, hob sie kurz den Kopf und deutete sogar ein kleines, dankbares Lächeln an.
»Sie wissen ja, Frau Stein, unser Interesse hier gilt weniger Ihrer Rolle in dieser Rauschgiftgeschichte als vielmehr der Aufklärung der Todesumstände von Kurt Staroske. Sie sind für uns eine wichtige Zeugin. Deshalb wiederhole ich meine Frage: An diesem Samstagnachmittag, wann genau sind Sie da mit Staroske zusammen gewesen und was haben Sie gemacht?«, begann Angermüller noch einmal.
Sie sah zu Boden und rauchte, schnell und nervös.
»Es war nach dem Mittagessen, das wissen Sie ja schon. Wir sind mit Kurt rüber zu uns gegangen. Wahrscheinlich so zwischen zwei und drei«, sie zauderte einen Moment. »Die wollten was zusammen besprechen.«
»Wer, die?«
»Holger und Kurt.«
»Sie waren nicht mit dabei?«
»Ich wollte eigentlich nicht. Aber Holger hat darauf bestanden. Er will immer alles mit mir zusammen machen.«
»Und worum ging es? Es ging um Geld, hatten Sie uns beim letzten Mal gesagt.«
Peggy Stein seufzte.
»Ja, Geld. Immer war Geld das Thema!«, sagte sie, es klang verzweifelt. »Mit Holger. Mit Kurt. Wenn man keins hat, gibt es nur dieses Thema.«
»Und weiter?«
»Holger und Kurt hatten immer irgendwelche Ideen. Verrückte Ideen. Dieser Kurt war genau der Richtige für so was. Der konnte unglaubliches Zeug fantasieren und war für jeden hirnrissigen Quatsch zu begeistern. Und Holger ließ sich davon anstecken.«
Jetzt hob sie den Kopf.
»Ich wollte damit nie was zu tun haben, das müssen Sie mir glauben!«
»Womit denn?«
Sie holte noch einmal tief Luft, als müsse sie sich stärken, ermutigen.
»Mit ihrem ›Projekt Freiland‹.«
Nachdem sie dieses Stichwort genannt hatte, schien ein Damm gebrochen, und sie erzählte, nur von kurzen Pausen unterbrochen, in denen sie trank und rauchte, den Beamten von dem Vorhaben der beiden Männer.
»Der Holger hatte auf einer Waldlichtung dieses kleine Feld entdeckt, das der Henning in dieser Saison brachliegen lässt. Und da ist er auf die Idee gekommen, es dort mit Hanfanbau im Freiland zu versuchen. Weil, das ist ja viel billiger, als eine Halle zu mieten, meinte er. Und die hohen Stromkosten, die fallen auch weg.«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Außerdem meinte Holger auch, das wird nicht so leicht entdeckt. Und bis jetzt ist ja wirklich noch niemand drauf gestoßen, scheinbar. Und als er dem Kurt davon erzählt hat, war der sofort begeistert. Bestes Gras vom Graswurzelhof, das klingt doch super, hat der gleich gesagt.«
Seit März waren die beiden Männer schon mit ihrem Projekt beschäftigt, hatten gesät, gedüngt,
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