Ballnacht in Colston Hall
ärgerlich werden. Also, halte bitte deinen Mund.”
“Du lieber Himmel, wenn du gleich wütend wirst, werde ich kein Wort mehr sagen. Ich mache dich allerdings darauf aufmerksam, dass du einen anderen Weg wählen solltest, um mich dazu zu bringen, dein Geheimnis zu wahren.”
“Oh, Annabelle”, erwiderte Lydia lachend, “was bist du doch für ein spitzzüngiges Kind!”
“Ich bin kein Kind mehr, wenn du das bitte zur Kenntnis nehmen möchtest. Ich bin durchaus alt genug, um mich zu verlieben.”
“Wirklich?”
“Ja, und deshalb weiß ich genau, was du für diesen Fremden fühlst, denn ich habe den Blick gesehen, den du … Wer ist es, Lydia?”
“Ich sagte dir doch schon, dass ich es nicht weiß.”
“Und was willst du nun tun, damit ich Mama nichts verrate?”
“Du kannst den seidenen Fächer haben, den mir Großmama geschenkt hat.”
“Oh, wirklich?” Annabelle strahlte und fügte dann verschmitzt hinzu: “Der Fremde muss dir ja sehr viel bedeuten, wenn du dich von diesem guten Stück trennst.”
“Ach was, ich wollte ihn dir ohnehin geben, weil er farblich so gut zu dem blassrosa Ballkleid passt. Zu meinem gelben passt er überhaupt nicht.”
“Ach, du bist wirklich die beste Schwester der Welt.” Stürmisch schlang Annabelle die Arme um Lydias Nacken. “Meinst du, der neue Earl wird die Veranstaltung eines Balles gestatten?”
“Ich weiß es nicht, und es ist mir auch gleichgültig.”
“Ach, Lydia, sei doch nicht so trübselig. Wer weiß, vielleicht würdest du deinen eleganten Gentleman dort treffen, und ich würde ganz bestimmt Perry wiedersehen.”
Und wozu sollte das gut sein, dachte Lydia, da er doch nur die Taube auf dem Dach ist. Ich weiß überhaupt nichts von ihm, dafür aber über Sir Arthur mehr, als mir lieb ist. Verzweifelt schluckte sie die aufsteigenden Tränen hinunter.
Da die Mutter bereits zu Bett gegangen war, zogen sich auch die Schwestern nach ihrer Rückkehr rasch in ihre Zimmer zurück. Lydia war sehr froh darüber, denn sie konnte Annabelles erwartungsvolles Geschnatter nicht mehr ertragen, mit dem sie ihre Hoffnung zum Ausdruck brachte, dass die Vermählung der älteren Schwester mit Sir Arthur ihr den Weg zu einer Mitgift und damit zu Peregrine Baverstock ebnen würde. Sicherlich, Sir Arthur war ein respektabler Gentleman, dem in den Augen der Mutter nichts vorzuwerfen war. Aber um keinen Preis wollte sie ihn heiraten.
Zwar unterwarfen sich die meisten jungen Damen in dieser Frage den Ratschlägen und Wünschen der Eltern. Manchmal ging es auch gut, und manchmal nahmen sie sich dann insgeheim einen Liebhaber. Das würde sie natürlich nie tun. Allerdings, wenn der Fremde aus Chelmsford käme … Nein, nein, die Ehe war heilig, und sie würde Sir Arthur treu bleiben, wenn sie ihn denn heiraten musste. Sie hatte doch keine andere Wahl, nicht wahr?
Seufzend drehte sich Lydia im Bett auf die Seite, starrte zu der dunklen Decke empor und schlief schließlich ein.
Am nächsten Morgen erwachte Lydia mit trüben Augen und war in keiner Weise auf die überwältigende Neuigkeit vorbereitet, die die Mutter am Frühstückstisch bekannt gab.
“Der junge Earl ist zurück”, sagte Mrs Fostyn und griff nach einem Briefbogen, der neben ihrem Teller lag. “Ich habe ein Schreiben von ihm bekommen oder, genauer gesagt, von seinem Anwalt, Mr George Falconer.”
“Und worum geht es darin?”
“Um dieses Haus hier. Der Earl wünscht, dass wir ausziehen.”
“Ausziehen?” wiederholte Lydia ungläubig.
“Ja, ja, lies es nur selbst.” Die Mutter reichte ihr den Brief, den Lydia rasch überflog.
“Einen Monat Frist”, sagte sie und wurde kreideweiß vor Zorn. “Er räumt uns gnädig einen Monat ein, dieser Schurke! Ich habe ihn immer gehasst und hatte recht damit. Er kann es nicht ertragen, uns auf seinem Land wohnen zu lassen, weil es ihn immer an seine Schuld erinnern würde. Ich wusste, dass es so weit kommen würde, wenn er zurückkehrt. Und du hast es auch geahnt, Mama, nicht wahr? Deshalb hast du mit mir über das Heiraten gesprochen.”
“Ja, ich dachte es mir. Siehst du, da … da der verstorbene Earl nicht mit seinem Sohn korrespondiert hat, kann er ja auch unsere Lebensumstände nicht kennen …”
“Es würde gewiss keinen Unterschied machen, wenn sie ihm bekannt wären”, fiel Lydia der Mutter ins Wort. “Er ist so selbstsüchtig. Er hätte doch Freddie entlasten können. Nein, er musste uns alle mit ins Unglück ziehen. Nur, ihm geht es
Weitere Kostenlose Bücher