Ballnacht in Colston Hall
jetzt wieder gut, aber wir sollen im Elend verkommen.”
“Ich bitte dich, Lydia, werde doch nicht so melodramatisch”, tadelte die Mutter sanft. “Das Haus gehört ihm, und er kann damit machen, was er will. Er erklärt, dass er es braucht, wenn ich mir auch nicht vorstellen kann wofür, da seine Mutter doch tot ist.”
“Glaubst du, dass er eine Frau hat?” wollte Annabelle wissen.
“Wahrscheinlich. Er ist schließlich schon neunundzwanzig.”
“Die Ärmste”, sagte Lydia höhnisch. “Ich frage mich, ob er weiß, was die Leute über ihn reden.”
“Was reden sie denn?”
“Ach, du weißt doch”, erwiderte Lydia unbestimmt. “Dass er Papa ermordet hat und so.”
“Ich bin sicher, dass niemand etwas dergleichen behauptet”, widersprach die Mutter. “Und ich wünschte, du würdest auch nicht auf diese Weise über ihn sprechen.”
“Warum denn nicht? Es ist doch die Wahrheit, oder? Papa war unbewaffnet und nur gekommen, um das Duell zu verhindern …”
“Lydia, du wirst doch keine Verleumdungen in Bezug auf den jungen Earl verbreiten?” Die Mutter schien ehrlich entsetzt zu sein über die heftigen Emotionen ihrer Tochter. “Das wäre hinterhältig und ungerecht.”
“Genauso wie er selber ist. Er hat es doch zugelassen, dass Freddie die Schuld zugeschoben wurde für etwas, das ganz allein sein Fehler war. Freddie hat immer unter seinem Einfluss gestanden – schon als Junge.”
“Ich glaube nicht, dass das der Fall ist, mein Kind, und ich bitte dich dringend, deine überschäumenden Gefühle zu zügeln. Daraus kann nichts Gutes entstehen. Vergiss nicht, dass dein Papa Vergebung gepredigt hat.”
“Hätte er denn Ralph Latimer vergeben, wenn er noch lebte?”
“Ich möchte gern glauben, dass er es getan hätte.”
“Aber er lebt nicht mehr. Und wir sind jetzt in Schwierigkeiten wegen diesem … diesem Teufel.” Unvermittelt sprang Lydia auf. “Ich gehe sofort zu ihm und werde ihm sagen, was ich von ihm halte.”
Aber die Mutter hielt sie am Handgelenk fest, als sie an ihr vorüber wollte. “Nein, Kind, das wirst du nicht tun. Er ist völlig im Recht, und wenn du ihn unnötig herausforderst, wird er uns vielleicht nicht einmal einen Monat zugestehen.”
Lydia machte keinen Versuch, sich loszureißen, sondern blickte reglos auf die Mutter hinab. “Du willst dich also seinem Willen beugen und ohne Widerrede davonziehen?”
Die Mutter lächelte traurig. “Nein, das will ich nicht, denn ich wüsste gar nicht, wohin ich gehen sollte. Ich werde selbst mit ihm reden, denn er kennt wahrscheinlich unsere Lebensumstände nicht …”
“Mama, du willst ihn doch nicht etwa bitten?”
“Nein, Lydia. Aber wir brauchen noch ein wenig mehr Zeit.”
“Zeit? Wofür?”
“Nun, sagen wir, um unsere Vermögensverhältnisse ein wenig zu verbessern.”
“Wie denn? Ach, ich verstehe. Wenn es mir gelungen ist, Sir Arthur einzufangen. Dann werde ich auch noch dafür bestraft, was dieser Mensch vor zehn Jahren verbrochen hat, genauso wie Freddie bestraft worden ist und wie du bestraft wurdest, Mama. Oh, wenn ich doch dafür sorgen könnte, dass auch er bezahlen muss – oder wenn er wenigstens in der Hölle verrotten würde!”
“Lydia!”, schrie die Mutter entsetzt. “Du darfst so etwas nicht sagen. Das ist böse. Setze dich wieder hin und beruhige dich. Hass ist etwas Schreckliches, und du solltest immer daran denken, dass die Rache bei Gott liegt und nicht bei den Menschen. Niemand ist ohne Schuld.”
Lydia sank auf ihren Stuhl. “Oh, Mama, keiner ist unschuldiger als du. Wie hast du das alles nur all die Jahre ertragen können?”
“Mein Gottvertrauen hat mir dabei geholfen, Kind. Der Glaube, den auch dein Vater predigte. Nun versprich mir aber bitte eines, nämlich dass du nie versuchen wirst, mit Seiner Lordschaft zu sprechen, ja?”
“Dieses Versprechen kann ich dir leichten Herzens geben, denn er ist der Letzte, mit dem ich mir eine Unterhaltung wünsche.”
“Sehr gut. Und nun sage mir, Liebes, ist es wirklich so schlimm, Sir Arthur zu heiraten? Er ist doch kein Unmensch, sondern ein respektabler, angenehmer Mann, der dich sehr mag. Ich denke dabei wirklich nicht an unsere schwierige Situation, sondern an dein Glück. Er wird für dich sorgen. Und wenn du in seinem Haus in Southminster lebst und dich mit dem Haushalt beschäftigst, wirst du auch wieder Ruhe finden und die Kraft, Dinge zu ertragen, die man nicht ändern kann.” Einen Augenblick schwieg die Mutter, in
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