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Ballnacht in Colston Hall

Ballnacht in Colston Hall

Titel: Ballnacht in Colston Hall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Nichols
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“Ich bin durch den Wald gegangen, um Mistress Grey einen Besuch abzustatten. Dabei bin ich über eine Wurzel gestolpert und in einen Dornbusch gefallen.”
    “Also wirklich, Lydia, ich kann einfach nicht begreifen, wie du ausgerechnet heute auf die Idee gekommen bist, Mistress Grey zu besuchen. Ich hatte dich doch gebeten, in deinem Zimmer zu warten. Stattdessen bist du plötzlich verschwunden. Und ich glaube auch nicht, dass sich dieser hässliche Kratzer überpudern lässt. Nun, zum Glück ist es ja ein Maskenball.”
    “Ich muss doch nicht hingehen. Du kannst sagen, dass ich unpässlich bin. Und das stimmt sogar. Ich fühle mich sehr angegriffen.”
    “Aber ich glaube, Sir Arthur möchte dir an diesem Abend einen Heiratsantrag machen.”
    “Demnach seid ihr euch also einig geworden?”, fragte Lydia mit gleichgültiger Miene, so als ging es um die Mittagsmahlzeit für den nächsten Tag. Es war die einzige Möglichkeit für sie, ihre Gefühle im Zaum zu halten.
    “Ja, es wird alles so geschehen, wie ich gesagt habe. Du brauchst weiter nichts zu tun, als seinen Antrag anzunehmen. Die Hochzeit kann dann im Juni stattfinden. Oder findest du es netter, im Hochsommer zu heiraten?”
    “Aber das sind ja nicht einmal mehr drei Monate! Oh, Mama, muss es denn unbedingt so schnell gehen?”
    “Wofür sollte ein unnötiger Aufschub gut sein? Sir Arthur ist Witwer. Sein neues Haus ist fertig und wartet nur auf dich. Und außerdem glaube ich, dass er im Ausland Geschäfte zu tätigen hat und sie gerne mit einer Hochzeitsreise verbinden möchte.”
    “Aber es ist so ein wichtiger Schritt im Leben, und ich bin noch gar nicht richtig bereit dafür.”
    “Unsinn! Wenn du dich erst einmal an den Gedanken gewöhnt hast, wirst du dich auch bald darauf freuen wie jede junge Braut, wirst Pläne machen, Kleider und andere hübsche Dinge kaufen, von deinem Zukünftigen mit Geschenken überschüttet werden, dein neues Heim einrichten …”
    Lydia ließ die Mutter reden. Ja, mit dem richtigen Mann mochte das wohl alles stimmen. Aber Sir Arthur war nicht der richtige Mann. Sie fand ihn geradezu abstoßend, und bei der Vorstellung, dass er sie küssen und nackt neben ihr im Bett liegen würde, lief ihr ein Schauer des Ekels über den Rücken. Lieber würde sie sich von dem Earl küssen lassen, und der Himmel wusste, wie sehr sie ihn hasste. Plötzlich spürte sie wieder seine festen Lippen auf ihrem Mund, seine starken Arme um ihre Schultern, sah das Aufblitzen eines Lachens in seinen Augen und wurde dabei von einem so tiefen Gefühl der Verzweiflung überwältigt, dass sie kaum mehr atmen konnte.
    Besorgt schüttelte die Mutter den Kopf. “Du siehst wirklich sehr schlecht aus, mein liebes Kind. So blass und müde. Es geht dir nicht gut, nicht wahr?” Sie nahm eine Glocke von ihrem Nähtisch und setzte sie kräftig in Bewegung. “Janet soll dir einen heißen Ziegelstein ins Bett legen, und du trinkst eine Tasse warme Milch mit Bienenhonig. Wir werden sehen, wie es dir morgen geht. Wenn du nicht an dem Ball teilnehmen kannst, wird Sir Arthur sicher Verständnis haben.”
    “Danke, Mama.”
    “Noch etwas muss ich dich allerdings fragen. Ich wollte Sir Arthur den Regenschirm zurückgeben, aber er erklärte, er gehöre ihm nicht. Wenn es nicht sein Schirm ist, Lydia, wessen Schirm ist es dann? Du sagtest, du habest Sir Arthur einen Besuch abgestattet, und so nahm ich an, er habe dir den Schirm geliehen. Das sollte ich doch denken, nicht wahr?”
    “Nein, Mama, ich wollte dich keineswegs hinters Licht führen. Der Schirm gehört dem Earl. Seine Kutsche überholte mich auf dem Heimweg, und da es stark regnete, nahm er mich mit bis ins Dorf. Dort lieh er mir dann den Regenschirm, damit ich zu Fuß weitergehen konnte.”
    “Und warum hast du die ganze Zeit verschwiegen, dass du mit ihm zusammengetroffen bist?”
    Lydia zuckte mit den Schultern. “Je weniger man über ihn redet, desto besser. Du weißt doch, wie ich über ihn denke.”
    “Wirklich? Ich weiß nur, was du mir sagst. Aber da du bereit warst, in seine Kutsche zu steigen, beginnst du vielleicht einzusehen, dass du ihn falsch beurteilt hast. Er ist kein schlechter Mensch, sondern ein Opfer der Umstände, die er nicht mehr unter der Kontrolle hatte – so wie wir alle. Du solltest dafür Verständnis haben.”
    “Oh ja, dafür habe ich Verständnis”, entgegnete Lydia bitter, denn sie wusste nun aus eigener Erfahrung, was es bedeutete, die Kontrolle zu verlieren, sich

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