Ballnacht in Colston Hall
Mama? Oh, es ist alles zu kränkend!”
“Nur wenn du es so sehen willst”, erwiderte die Mutter ruhig. “Wenn wir uns entsprechend verhalten, werden alle zu dem Ball kommen, und das wird dann dem hässlichen Gerede ein Ende setzen. Dein Hochzeitsfest zwei Wochen später wird dadurch in keiner Weise beeinträchtigt.”
Nein, das wird es nicht, dachte Lydia. Aber ich werde mich so oder so sehr elend fühlen – und zwar zweifach elend, weil der Ball in Colston Hall erst recht die Inhaltslosigkeit der Hochzeitszeremonie unterstreichen wird. Und er weiß das! Er macht es mit Absicht!
Der Earl hatte offensichtlich Mrs Fostyns Zustimmung erwartet, denn er hatte bereits eine Aufstellung der erforderlichen Vorbereitungen sowie eine Liste der einzuladenden Gäste vorbereitet und ein weiteres Treffen in zwei Tagen verabredet, damit sie ihre Meinungen darüber austauschen konnten. Lydia erschien es, als verrate die Mutter damit das Andenken ihres Vaters, und ein hässlicher Verdacht machte sich in ihrem Herzen breit.
Vielleicht stimmten die Gerüchte doch? Wusste Ralph Latimer, was in Wirklichkeit dahintersteckte? Hatte der Vater es gewusst? Und Freddie? “Der Earl weiß genau, wie beschäftigt wir sein werden”, sagte sie starrsinnig. “Es war ungehörig von ihm, dir auch noch diese Last aufzubürden.”
“Lydia, mein Kind, das sind doch alles keine Belastungen. Wie kann die Beschaffung des Hochzeitskleides für eine Tochter eine Bürde sein? Und was den Ball anbelangt, so bin ich ja nur die Beraterin des Earls, und das macht doch überhaupt keine Mühe. Wir haben seit vielen Jahren kein solch festliches Ereignis mehr in Colston Hall erlebt, und ich freue mich darauf.”
Lydia schwieg. Sie wünschte, sie würde sich auch freuen können.
Die nächsten zwei Wochen vergingen in der Tat in großer Geschäftigkeit. Die Vorbereitungen des Balles waren für Mrs Fostyn mit häufigen Besuchen in Colston Hall und vielen Fahrten nach Chelmsford verbunden, um dort Blumen und andere Dekorationen zu bestellen, Musiker zu engagieren und dafür zu sorgen, dass das Souper und der kalte Imbiss vorbereitet und am Balltag pünktlich geliefert wurden. Meistens ließ sie sich dabei von Lydia begleiten, nicht nur um ihre Meinung zu den Dingen zu hören, die sie für Seine Lordschaft einzukaufen hatte, sondern auch um die Gelegenheit zu benutzen, den Schneider aufzusuchen, der das Hochzeitskleid anfertigte und die Kleider für ihre anderen Töchter, die als Brautbegleiterinnen fungieren würden.
Sir Arthur hatte darauf bestanden, dass die Hochzeitsfeier in seinem Hause stattfand, da er den Witwensitz als viel zu klein für die große Anzahl der geladenen Gäste ansah. Dementsprechend lag hier die Verantwortung für die Vorbereitungen auf den Schultern seiner Schwester. Mrs Fostyn und Lydia wurden nicht um Rat gefragt, was die erstere ein wenig verstimmte. Doch Lydia erklärte ihr, sie sei froh, dass die liebe Mama nicht auch noch diese Last mit zu tragen habe, da ihr sonst die zahlreichen Anforderungen über den Kopf wachsen würden.
Als sich der Tag des Balles näherte, begann Lydia, ihn mehr und mehr zu fürchten im Gegensatz zu Annabelle, die an nichts anderes mehr denken konnte, da sie überzeugt war, Peregrine werde ihr an diesem Abend nun wirklich einen Antrag machen. Ihre Schwester hingegen wünschte, das Fest wäre schon vorüber. Doch das würde bedeuten, dass ihr nur noch eine Frist von zwei Wochen bis zu ihrem Hochzeitstag vergönnt war!
Pünktlich um acht Uhr am Abend des ersten Mai fuhr Sir Arthur am Witwensitz vor, um die Damen zum Ball zu begleiten. Er trug heute einen pflaumenblauen Satinrock und eine ebensolche Hose. Über seinen in ein Korsett gezwängten Bauch spannte sich eine rosa und gelb gestreifte Weste. Ein cremefarbenes Hemd mit Meilen von Spitze an Hals und Manschetten sah unter dem Rock hervor. Das Jabot war mit einer riesigen Smaragdbrosche geschmückt, und an seinen Fingern blitzten kostbare Ringe.
“Meine Damen, ich habe die Ehre”, sagte er, während er vor jeder einen affektierten Kratzfuß machte. Dann drückte er Lydia einen feuchten Kuss auf beide Wangen, neigte sich über Mrs Fostyns Hand und rief pathetisch: “Die Kutsche wartet, meine Damen!”
Es dauerte dann noch eine Weile, bis jede mit ihrem voluminösen Ballkleid einen Platz im Inneren des Wagens gefunden hatte. Lydia hatte sich entschlossen, wieder das weiße Kleid von dem ersten Ball anzuziehen, allerdings mit einer kleinen
Weitere Kostenlose Bücher