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Ballnacht in Colston Hall

Ballnacht in Colston Hall

Titel: Ballnacht in Colston Hall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Nichols
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sein?”
    Sir Arthur ging zum Fenster und blickte hinunter. “Ich glaube, das ist der Wagen des Comte de Carlemont.”
    Tatsächlich entstieg der Genannte, in Hellgelb und Kirschrot gekleidet, der frisch lackierten Kalesche. Ihm folgten Lord und Lady Brotherton mit Caroline und zu Annabelles größtem Entzücken auch die Baverstocks. Nun rollte Wagen auf Wagen vor, und der Ballsaal füllte sich mit plaudernden und lachenden Gästen, die sich herausgeputzt hatten, als gelte es, einen Wettbewerb zu gewinnen.
    Schließlich wurde geräuschlos die rückwärtige Flügeltür geöffnet. Ein gutes Dutzend Lakaien mit Tabletts voller gefüllter Gläser kam in den Saal und wartete mit Champagner und verschiedenen Likören auf. Wenige Minuten später trat Mrs Fostyn am Arm des Earl of Blackwater über die Schwelle. Der Maître de Plaisir kündigte den ersten Contretanz an, und Seine Lordschaft führte die Hausfrau des heutigen Abends auf das Parkett. Sofort ergriff auch Sir Arthur Lydias Hand. Die anderen folgten seinem Beispiel, und damit hatte der Ball begonnen.
    Obwohl Lydia fest entschlossen gewesen war, sich nicht zu amüsieren, taten Musik und Frohsinn ihre Schuldigkeit, und ihre Spannung löste sich. Als Ralph sie zu einer Gigue aufforderte, hatte sie bereits zwei Gläser Champagner getrunken. Lächelnd nahm sie die wortlos entgegengestreckte Hand und hüpfte vergnügt zu dem schnellen Takt der Musik über den Tanzboden. Nachdem der letzte Ton verklungen war, lehnte sie sich lachend und mit glühenden Wangen in seinen Arm.
    In diesem Augenblick erkannte Ralph, dass er dieses reizende Mädchen liebte und dass es nie eine andere für ihn geben würde. Diese Entdeckung überwältigte ihn und ließ seinen Atem stocken. Er hatte sich selbst zum Narren gehalten, als er sich einredete, er wolle nichts anderes als die Feindschaft zwischen den beiden Familien beenden und die bösartigen Gerüchte aus der Welt schaffen. Nein, er wollte mehr, viel mehr. Aber es war zu spät dafür – oh, viel, viel zu spät.
    Er bot Lydia den Arm und führte sie zurück zu ihrer Mama und Sir Arthur. Dort verbeugte er sich vor ihr und zog ihre Hand an seine Lippen. Seine Miene überraschte Lydia. Sie war spöttisch, auf zynische Art belustigt und zugleich melancholisch. “Danke, Miss Fostyn”, murmelte er und ließ sie verwirrt zurück.
    Sir Arthur gab ihr indes keine Gelegenheit, die Fassung wiederzugewinnen. “Kommt, meine Liebe”, sagte er kurz. “Im Speisesaal wird bereits serviert.”
    Gehorsam folgte Lydia ihm in den Nebenraum. Aber ihre Beine schienen plötzlich schwer wie Blei zu sein, nachdem sie doch eben noch wie auf Flügeln durch den Saal geschwebt war. Ihr Kopf begann zu schmerzen, wahrscheinlich vom Champagner. Sie mochte nichts essen und quälte sich nur ein paar Bissen hinunter. Sir Arthur versuchte immer wieder, sie zu dieser oder jener Delikatesse zu überreden. Doch das machte sie nur noch gereizter, sodass sie sich schließlich mit dem dringenden Bedürfnis, sich ein wenig zu erfrischen, entschuldigte.
    Hastig eilte sie hinaus in den dunklen Park. Sie brauchte jetzt einen Ort, an dem es kühl und einsam war, damit sie nachdenken konnte. Nachdenken – worüber? Es gab doch nichts mehr zu überlegen. Sie konnte aus der verabscheuten Bindung nicht mehr entfliehen, und es hatte sich in der Zwischenzeit ja auch nichts wirklich verändert. Sie mussten nach wie vor den Witwensitz verlassen, Annabelle brauchte eine Mitgift, und John sollte eine gute Schule besuchen. Es waren immer noch dieselben Zwänge.
    Plötzlich schrak sie zusammen. Aus der geöffneten Tür eines Gewächshauses drangen Männerstimmen und der Geruch nach feuchtwarmer Erde. Der Earl hatte erst kürzlich hier eine kleine Plantage mit exotischen Pflanzen anlegen lassen. “Die
Meerjungfrau
liegt draußen auf See”, sagte einer der Männer. Lydia presste angstvoll die Hand auf den Mund und zog sich langsam in den Schatten eines Buchsbaumes zurück. “Sofern die Flut pünktlich einsetzt”, fuhr die Stimme fort, “wird sie kurz nach Mitternacht hereinkommen und das Boot zu Wasser lassen, sobald das Signal gegeben wird. Sind die Männer und die Karren bereit? Ich gebe dann rechtzeitig Bescheid.”
    “Und wo bist du?” Die andere Stimme war rau und hatte einen heimischen Anklang.
    “Ich durchkämme die Dünen.”
    “Wonach?”
    “Du weißt genau, wonach.” Das klang ärgerlich. “Und nun geh.”
    Ein Schatten glitt aus der halb offenen Tür und verschwand

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