Ballnacht in Colston Hall
die Vergangenheit Vergangenheit sein zu lassen …”
“Das könnt Ihr auch sehr gut tun, Mylord, denn Ihr seid wieder gemütlich daheim”, hielt Lydia ärgerlich dagegen. “Freddie aber ist nicht zu Hause. Wir haben keine Ahnung, wo er sich befindet und wie es ihm geht. Und was den Rest der Familie betrifft, der bald die Sachen packen muss …”
“Ich habe gesagt, dass die Familie bleiben kann, bis Ihr verheiratet seid.” Nun wurde auch Ralph ungehalten. “Deshalb müsst Ihr nicht den erstbesten Mann nehmen. Ihr habt alle Zeit der Welt, um Euch den passenden Ehegatten zu suchen.”
“Sir Arthur ist nicht der erstbeste Mann, der um meine Hand angehalten hat. Ihr seid kaum einen Monat wieder in Colston und glaubt schon, alles über mich zu wissen …”
“Dann bitte ich um Entschuldigung.” Ralph verneigte sich steif, denn er wollte sich die Laune nicht verderben lassen. Aber es war ein schwerer Kampf, und wenn die Mutter nicht anwesend gewesen wäre, hätte er das impertinente Ding übers Knie gelegt und anschließend nach Herzenslust geküsst.
“Ich möchte Euch aber nicht verpflichtet sein, Mylord”, fuhr Lydia im selben Ton fort. “Nichts wäre mir lieber, als keinen Tag länger als nötig unter Eurer Gerichtshoheit zu stehen.”
“Nun, das ist ein Punkt, über den wir uns einigen könnten”, erwiderte Ralph mit einem ironischen Lächeln.
“Lydia, es bringt doch nichts, die alten Geschichten immer wieder aufzuwärmen”, mischte sich nun die Mutter in das immer unerfreulicher werdende Gespräch.
Sofort wandte Ralph sich ihr zu. “Das ist auch meine Meinung. Ich möchte einen Ball geben, und da ich keine Frau habe, würde ich mich sehr geehrt fühlen, wenn Ihr, Mrs Fostyn, die Rolle der Gastgeberin übernehmen und mir auch bei den Vorbereitungen helfen würdet. Ich würde bestimmt das Wichtigste vergessen, wenn ich die Sache allein durchführen müsste.”
“Nein, nein, ich will nicht, dass du es tust, Mama!”, rief Lydia. “Er will uns doch nur demütigen. Siehst du das denn nicht?”
“Nichts liegt mir ferner”, erwiderte Ralph und fragte sich dabei, ob er wohl jemals diesen Panzer würde durchbrechen können. Einmal, ja, einmal, war er nahe daran gewesen. Damals hatte er Augen gesehen, die sanft und träumerisch waren vor Verlangen, und Lippen geküsst, die Leidenschaft mit Leidenschaft beantworteten. Ob Lydia diesen Hass wohl mit allen Mitteln nähren musste, um ihn am Leben zu erhalten? “Es hat eine Zeit gegeben, in der ich ebenso hasserfüllt war wie Ihr. Aber ich habe inzwischen eingesehen, dass dieses Gefühl den Hassenden selbst zerstören kann.”
“Sehr gut, Mylord.” Die Mutter nickte nachdrücklich. “Ich werde Eurer Bitte sehr gern nachkommen. Sagt mir, wann soll der Ball denn stattfinden?”
“Am ersten Mai.” Ralphs Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.
“Am ersten Mai?” wiederholte Lydia missmutig. “Aber das ist ja nur zwei Wochen vor meiner Hochzeit, denn in reichlich vier Wochen werde ich bereits eine verheiratete Frau sein.”
“In vier Wochen?” wiederholte nun auch Ralph und machte keinen Versuch, seine Überraschung zu verbergen. “So bald schon?”
“Es gibt keinen Grund, es hinauszuzögern, Mylord.”
Nun, ich könnte dir ein gutes Dutzend Gründe nennen, dachte Ralph, sagte indes aber laut: “Ich dachte immer, Damen brauchen unvorstellbar viel Zeit, um ihre Hochzeit vorzubereiten.”
“Das hängt davon ab, was erforderlich ist. Und im Übrigen ist Sir Arthur sehr ungeduldig.”
Ein Lächeln hellte Ralphs Züge auf, und für einen kurzen Augenblick war er wieder der Fremde mit dem Regenschirm. “Das kann ich gut verstehen. Darf ich Euch Glück wünschen?”
“Ihr dürft, Mylord.” Wenn du es wirklich so meinst, fügte Lydia in Gedanken hinzu.
“Aber wie auch immer, ich möchte, dass der Ball so bald wie möglich stattfindet, sonst ist der gewünschte Erfolg infrage gestellt.” Ralphs Lächeln vertiefte sich. “Und der erste Mai ist doch schließlich für Feste aller Art wie geschaffen, nicht wahr? Man freut sich bereits auf den Sommer und seine herrlichen Gaben. Außerdem ist der Weg vom Witwensitz auch bequemer als von der Chaussee nach Southminster. Habe ich recht?”
Als Lydia mit ihrer Mutter auf dem Heimweg war, kochte sie schon wieder vor Zorn. “Der Earl macht das alles nur, um mich in Harnisch zu bringen. Er will mir meinen Hochzeitstag verderben. Warum? Was habe ich ihm getan? Und warum hast du eingewilligt,
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