Ballnacht in Colston Hall
Selbstverteidigung gedacht.”
“Da bin ich aber froh, dass ich Euch überrascht habe.”
“Oh, ich glaube nicht, dass ich es benutzt hätte.”
“Sicher nicht kaltblütig, aber vielleicht aus Angst um Euer Leben. Geht nach Hause, Miss Fostyn, und bringt Euch in Sicherheit.”
“So lauert hier also Gefahr?”
“Die einzige Gefahr am Strand seid Ihr”, lachte Robert Dent. “Gestattet, dass ich Euch nach Hause bringe.”
“Müsst Ihr nicht Antwort auf das Signal geben?”
“Welches Signal?”
“Ich bin keine Närrin, Mister Dent. Ich habe die Hütte im Wald gesehen und das Licht draußen auf See …” Lydia beschloss, keinesfalls das geheimnisvolle Päckchen zu erwähnen.
“Miss Fostyn, ich rate Euch dringend, Eure Nase nicht hineinzustecken.”
“Und dadurch keinen Spaß zu haben?”
“Das ist kein Spaß, und Ihr könntet dabei zu Schaden kommen. Es sind verwegene Männer, die nichts zu verlieren haben.”
“Ach, wirklich? Ich glaube eher, es ist eine Handvoll Dörfler, die ein bisschen Schmuggelware hereinbringen. Wo liegt da das Risiko?”
“Solange sie nur bei ihrem illegalen Handel bleiben, ist das Risiko in der Tat gering. Und nun nach Hause mit Euch. Passt auf, dass Ihr den Weg nicht verfehlt.”
Die beiden standen nahe beieinander und zeichneten sich deutlich gegen den etwas helleren Himmel ab. Ralph Latimer konnte sie von seinem Versteck in den Dünen genau sehen, aber ihre Identität nicht feststellen. Der kleinere von beiden machte plötzlich kehrt und ging den Weg zurück, genau auf das Versteck zu. Rasch duckte sich Ralph tiefer hinter ein Büschel Strandhafer und riss überrascht die Augen auf, als der Fremde in nur zwei Schritten Entfernung an ihm vorüberging.
Obwohl sie Männerkleider trug, war es unzweifelhaft Lydia Fostyn. Schon allein die langen rotbraunen Locken hätten sie verraten. So war sie also doch mit den Schmugglern im Bunde! Am liebsten wäre er ihr entgegengetreten und hätte sie gezwungen, alles zu sagen, was sie wusste. War ihr vielleicht gar bekannt, dass es um mehr ging als nur ein paar Kisten Wein und Cognac? Aber es schien, als habe der andere Mann sie fortgeschickt. War sie vielleicht ein Kurier?
Es wäre wahrscheinlich besser gewesen, wenn er daheim in seinem Bett geblieben wäre. Doch er hatte keinen Schlaf gefunden. Zu viel ging ihm im Kopf herum. Der Ball war hinsichtlich seiner Wirkung auf die unsinnigen Gerüchte ein großer Triumph gewesen, und er hatte ihm auch sein Heimatrecht in Colston und Umgebung wieder verschafft. Was die Fehde mit der Familie Fostyn betraf, war er sich des Erfolges allerdings nicht so sicher.
Mrs Fostyn war ihm nie gram gewesen und hatte ihm großen Dank gezollt, als er ihr jene Briefe zurückgab, die längst vergangene Sorgen und Kümmernisse enthielten. Aber mit Lydia war es anders. Sie hasste ihn unverändert, und er fragte sich vergebens, warum er immer wieder versuchte, sie umzustimmen.
Als sich die letzten Gäste verabschiedet hatten, war er noch eine Weile in der Tür stehen geblieben und hatte dem Wagen von Sir Arthur nachgeblickt. Den Witwensitz konnte er von dieser Stelle aus nicht sehen, da er von dichten Bäumen umgeben war. Aber er konnte sich vorstellen, wie Lydia dort Mutter und Schwester Gute Nacht sagte, ihr reizendes Kleid ablegte, die schönen Haare bürstete und dann unter die Decke ihres Bettes kroch, und er wünschte, bei ihr zu sein als ein Teil ihres Lebens. Würde sie gut schlafen? Würde er schlafen können? Seufzend wandte er sich um und schloss die Tür hinter sich.
Auf der halben Treppe blieb er stehen und blickte aus dem hohen Fenster auf das Sumpfgebiet und die Marschen – die Heimat der Seevögel, Aale, Austern und Krabben und ein herrlicher Ort für abenteuerlustige Schuljungen. Aber auch für Schmuggler. Wie auf ein Stichwort blitzte in diesem Augenblick draußen auf See ein Licht auf. Es blinkte noch ein zweites Mal und verschwand dann wieder.
Ralph eilte in sein Zimmer, legte hastig den schwarzen Anzug ab und schlüpfte in den pfefferfarbenen Rock, den er bei seinen Waldspaziergängen trug. Dann machte er sich auf den Weg zu der alten Hütte, um dort zu warten, bis die Schmuggler mit ihrer Ware eintrafen und er sie auf seinem Grund und Boden stellen konnte. Doch ein Junge, der ihnen offensichtlich entgegengehen sollte, weckte seine Aufmerksamkeit. Und so folgte er diesem auf seinem Weg zu den Dünen.
Nur war es leider kein Junge, sondern das Mädchen, das ihm nicht mehr aus dem
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