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Ballnacht in Colston Hall

Ballnacht in Colston Hall

Titel: Ballnacht in Colston Hall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Nichols
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straff wie möglich aus der Stirn und stopfte die Locken unter den Dreispitz. Nun sah sie tatsächlich wie ein Junge aus und konnte sich zudem in der bequemen Kleidung ungehindert bewegen.
    In der Küche nahm sie noch ein Messer aus dem Kasten und steckte es in ihren Gürtel. Sie fühlte sich dadurch männlicher und unvorhergesehenen Ereignissen besser gewachsen, obwohl sie nie den Mut haben würde, es als Waffe zu benutzen. Dann schlüpfte sie geräuschlos aus der hinteren Küchentür und war wenige Minuten später bereits mitten im Wald des Earl of Blackwater. Zwischen den Bäumen war es dunkel und unheimlich, und es herrschte Grabesstille. Nur der Wind stöhnte in den Wipfeln. Ihr Atem ging rasch und keuchend, während sie in Richtung auf die alte Hütte vorwärts hastete. Sie hatte diesen Weg instinktiv eingeschlagen und fand ihn dennoch trotz der Dunkelheit mit unbeirrbarer Sicherheit.
    Als sie sich dessen bewusst wurde, blieb sie erschrocken stehen. “Ich sollte den Wald den Geistern überlassen, die darin hausen”, sagte sie halblaut zu sich selbst und schlug nun den Weg zur Küste ein. Doch im Finstern war er schwer auszumachen, sodass sie immer wieder bis zu den Waden im Wasser versank. Ich muss verrückt sein, dachte sie. Was will ich hier? Was hoffe ich, damit zu erreichen? Würde das nächtliche Umherschweifen denn meinen Kummer stillen? Nein! Ich könnte vielmehr spurlos im Moor versinken und meiner Mutter damit neuen Jammer bereiten. Ich sollte lieber wieder nach Hause gehen.
    Während dieser Gedanken hatte Lydia unentwegt zu Boden geschaut, um den Weg nicht zu verlassen. Als sie nun aber den Kopf hob, sah sie draußen auf dem Meer ein Licht aufblitzen. Dann flammte es kurz hintereinander noch zweimal auf. Von der Küste jedoch war keine Antwort wahrzunehmen, so sehr sie auch ihre Augen anstrengte. Nun, vielleicht hatte sich der Signalgeber hinter einer Landzunge versteckt.
    Plötzlich spürte sie ein merkwürdiges Kribbeln im Nacken, so als würde sie von irgendjemandem beobachtet. Ihr Herz begann wie wild zu klopfen, und sie wurde hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, fortzurennen und sich daheim in Sicherheit zu bringen, und der Neugier auf die Schmuggler und ihre Konterbande. Die Neugier gewann schließlich die Oberhand. So leise wie möglich schlich sie weiter in Richtung auf den Strand, wo zweifellos die Männer im Dunkeln warteten.
    Als sie endlich die erste Düne erreicht hatte, in der sie sich zunächst einmal verstecken konnte, wurde sie jählings zu Boden gerissen. Eine dunkle Gestalt kniete sich über sie und presste ihre Arme in den Sand. Verzweifelt versuchte Lydia, sich zu befreien. Bei dem Kampf fiel der Hut von ihrem Kopf, und die Locken breiteten sich wie ein Mantel über ihre Schultern aus.
    “Wer zum Teufel seid Ihr?”, fragte der Unbekannte, während er das Messer aus ihrem Gürtel zog.
    “Meines Wissens gibt es kein Gesetz, das den Leuten untersagt, am Strand spazieren zu gehen”, versetzte Lydia erleichtert, denn sie hatte Robert Dent an der Stimme erkannt. “Aber es gibt Gesetze, die das Schmuggeln verbieten.”
    “Wer seid Ihr?”, beharrte Robert Dent. “Irgendein junger Naseweis, der sich anschließen möchte?”
    “Wenn Ihr so wollt. Und nun lasst mich gehen.”
    “Ich soll das Spiel aufgeben? Nein, nein, daraus wird nichts, Bursche. Ihr bleibt hier, damit ich ein Auge auf Euch haben kann …” In diesem Augenblick kam der Mond hinter den Wolken hervor und schien auf Lydias Gesicht. “Beim Himmel, das ist ja Lydia Fostyn!” Robert Dent rappelte sich empor. “Was treibt Ihr denn hier?”
    “Ich gehe spazieren”, erwiderte Lydia schnippisch, stand auf und klopfte sich den Sand von den Hosen.
    “Mitten in der Nacht? Und warum habt Ihr Euch dafür so merkwürdig angezogen?”
    “Ich musste meinen Kopf auslüften, denn ich hatte zu viel Champagner getrunken. Ich bin nämlich nicht an solche Getränke gewöhnt. Euch hingegen dürfte das Trinken nichts ausgemacht haben, sodass es für Euch keinen Grund gibt, nachts hier umherzulaufen.”
    Einen Augenblick lang suchte Robert Dent vergeblich nach einer Erklärung für seine Anwesenheit. Schließlich sagte er nur kurz: “Mir scheint, Ihr wolltet Euch verkleiden.” Er bückte sich, um den Dreispitz aufzuheben, und schlug ihn gegen sein Knie, damit der Sand herunterfiel. Dann reichte er ihn Lydia zusammen mit dem Küchenmesser. “Seht Euch vor. Ihr könntet jemanden damit verletzen.”
    “Das Messer war nur zur

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