Ballnacht in Colston Hall
ausgeschlossen zu sein. “Natürlich würdet Ihr keinen Mord begehen. Ihr wart doch mit Lord Latimer befreundet, und ich vermute, dass es auch jetzt noch der Fall ist.”
“Allerdings. Aber ich war immer der Meinung, Ihr hättet keinerlei Sympathie für ihn.”
“Das war auch … ist auch so”, korrigierte Lydia sich hastig und wurde zu ihrem Ärger rot dabei. “Aber ich könnte dennoch nicht leben mit dem Gedanken, dass ich Mitschuld trage an seinem …” Sie sprach das schreckliche Wort nicht aus und schauderte.
“Und was soll ich nun tun, Miss Fostyn?”
“Nun, das Schlimmste verhindern, was sonst.”
“Das wird nicht leicht sein”, murmelte Robert Dent. “Ganz und gar nicht leicht.”
“Aber Ihr werdet es versuchen, nicht wahr? Oh bitte, sagt, dass Ihr es versuchen werdet.”
“Wann soll denn das Treffen stattfinden?”
“Heute Nacht, im Wald von Seiner Lordschaft. Dort steht eine kleine Holzhütte, und ich soll den Earl dahin locken mit der Behauptung, die Schmuggler würden um Mitternacht die Konterbande aus dem Versteck holen.”
“Könnt Ihr Seine Lordschaft nicht einfach warnen?”
“Nein, das geht nicht. Er würde sicherlich den Steuereinnehmer benachrichtigen, und Freddie würde verhaftet werden. Und außerdem kann ich die Männer nicht verraten – nicht einmal den Franzosen –, ohne dass der Verdacht auf Freddie fallen würde. Die Sache müsst Ihr in die Hand nehmen.”
“Welcher Franzose?”
“Er kam mit dem Boot, das die Schmuggelware brachte.”
“Potz Wetter, Ihr seid ja sehr eifrig gewesen! Was wisst Ihr außerdem noch?”
“Ich habe gehört, dass einer mit dem Namen Gaston verschwunden ist und dass die anderen vermuten, er sei dem Steuereinnehmer in die Hände gefallen.” Lydia schwieg einen Augenblick, während sie darüber nachdachte, ob sie Robert Dent von dem Päckchen erzählen sollte, das sie gefunden hatte. Doch sie entschied sich schließlich dafür, vorerst lieber zu schweigen. Vielleicht würde es einmal ein sehr nützliches Faustpfand sein, wenn sie auch keine rechte Vorstellung hatte, für welchen möglichen Handel. “Habt Ihr gehört, dass ein solcher Mann verhaftet wurde?”, fügte sie nach einigem Zögern hinzu.
“Nein. Und jener Franzose, von dem Ihr spracht, ging er auf das Schiff zurück?”
“Das weiß ich nicht.”
Robert Dent seufzte. “Also Schwierigkeiten und Unklarheiten, wo immer man auch hinsieht.”
“Wollt Ihr mir nicht helfen, Mr Dent, bitte?”
“Warum geht Ihr damit nicht zu Sir Arthur? Letzten Endes sollte er ja in erster Linie Euer Beschützer sein. Und er ist auch näher für Euch.”
“Er würde es nicht verstehen.”
“Darauf würde ich allerdings auch jede Wette eingehen.”
“Dann kann ich also auf Euch zählen?”
Er tätschelte die Hand, die auf seinem Ärmel lag, bevor er sie sachte davon löste. “Überlasst die Angelegenheit mir, Miss Fostyn. Und nun geht nach Hause und denkt nicht mehr darüber nach. Soviel ich weiß, wollt Ihr morgen nach London fahren und eine Woche bei Eurer Schwester bleiben.”
“Das ist richtig. Annabelle kommt auch mit. Aber woher wisst Ihr das?”
“Ich glaube, Sir Arthur hat es erwähnt”, erwiderte Robert Dent beiläufig. “Übermittelt doch bitte Lady Mallard meine besten Empfehlungen.”
“Ja, gern.”
“Wir werden sie doch anlässlich Eurer Hochzeit hier sehen?”
“Ganz gewiss.”
Er zog den Hut, verbeugte sich und wandte sich dann rasch um. Ohne zu zögern schritt er den Pfad wieder zurück, den sie soeben gegangen waren. Lydia hingegen machte sich auf den Weg zum “Goldenen Adler”, wo sie Annabelle vorzufinden erwartete. Aber zu ihrer größten Überraschung war die Schwester nirgends zu sehen, und auch Partridge, der mit einem Krug Bier in der Wirtsstube saß, wusste nicht, wo sie zu finden sein konnte.
Ungeduldig wartete Lydia noch eine Viertelstunde und begab sich dann missgestimmt zu dem Haus der Brothertons, um Annabelle abzuholen. Entsetzt nahm sie dort die Mitteilung entgegen, dass Annabelle überhaupt nicht dagewesen und jedermann im Hause ohnehin mit den Vorbereitungen für die Fahrt nach London, die noch in dieser Stunde angetreten werden sollte, über die Maßen beschäftigt sei. In der Halle stapelten sich bereits Taschen und Bündel, und die Kutsche war ebenfalls schon vorgefahren. Ratlos ging Lydia ins Stadtzentrum zurück. Vielleicht hatte sich die Schwester dort auf die Suche nach ihr begeben, wenn Caroline Brotherton keine Zeit für
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