Ballsaison: Palinskis siebter Fall
.«
Das war eine sehr eigenwillige Formulierung gewesen. Juri formulierte häufig sprachlich originell, gab aber nie etwas von sich, was er nicht meinte. Seine letzte, sehr allgemeine Aussage konnte daher eigentlich nur bedeuten, dass …
»Hältst du es für möglich, dass der Minister … ?« Palinski hatte Probleme, den Gedanken auszusprechen. Obwohl er ursprünglich selbst daran gedacht hatte.
»Wer will schon wissen, was im Kopf eines Staatsdieners so vor sich geht? Der Mann chat durchaus Ambitionen, könnte dacher auch eigene Interessen verfolgen .« Malatschew winkte den Ober heran und bestellte noch eine Portion Dattelnudeln.
»Dieses wunderbare Zeugs wird mich sicher einige Kilogramm kosten«, er seufzte heuchlerisch, »und erst mein Cholesterinspiegel ?«
»Aber wem kann man dann eigentlich noch vertrauen ?« , Palinski wirkte unsicher.
»Auf diese Frage gibt es keine generelle Antwort, weder chinsichtlich der Menschen, denen man vertraut, noch der Themen, die man ihnen anvertrauen kann .« Juri blickte einer jungen Frau nach, die am Tisch vorbeigegangen war. »Erstklassige Fesseln«, flüsterte er, »wie ein Rennpferd .«
»Wir reden über Dinge, die die Zukunft Europas betreffen, und du hast nichts anderes im Kopf als die Beine dieser Frau«, Palinski schüttelte den Kopf. »Du bist mir schon ein seltsamer Zeitgenosse .«
»Du darfst nie zulassen, dass die großen Probleme die kleinen Freuden aus deinem Leben vertreiben«, antwortete Malatschew philosophisch. »Wenn das geschieht, dann chast du schon verloren. Denn es sind die kleinen Freuden, die dich am Leben erchalten .«
Das klang so, als ob er darüber nachdenken sollte, ging es Palinski durch den Kopf. Aber nicht jetzt, bitte, jetzt war keine Zeit. Zuerst musste er die Probleme der Welt lösen.
Das war natürlich Nonsens. Der letzte Gedanke erschien selbst Palinski so lächerlich, dass er unwillkürlich grinsen musste. »Also gut, die Frau hat klasse Beine, aber jetzt zurück zum eigentlichen Problem. An wen soll, kann ich mich wenden? Und komm mir jetzt nicht wieder mit irgendeinem philosophischen Scheiß. Wir haben nur mehr knapp 72 Stunden Zeit .«
»Das wirst du schließlich selbst entscheiden müssen«, Juri blickte jetzt völlig ernst. »Und nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Gefühl. Am sichersten ist es natürlich, wenn du das Attentat selbst verhinderst .«
Fassungslos starrte Palinski den alten Irren an. »Bist du jetzt total übergeschnappt, Juri !« , rief er viel zu laut, senkte die Stimme aber sofort wieder. »Was kann ich denn tun ?«
»Vor allem einmal musst du die Aufgabe auf ihren eigentlichen Kern reduzieren«, dozierte Malatschew. »Und dann eine Antwort auf die daraus resultierende Frage finden. Wenn ich dich richtig verstanden habe, lautet das Problem, dass sich Dr. Ante Brionigg und sein Nachfolger als Präsident des Europäischen Rates gemeinsam zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort befinden werden. Ist das so ?«
Palinski nickte. »Meine Theorie ist, dass es vor allem um Brionigg geht, also um den derzeitigen Vorsitzenden des Europäischen Rates. Wenn der plötzlich ermordet wird, entsteht sowohl ein Schock als auch ein Vakuum. Und während der Schock noch anhält, nützen gewisse Leute die Situation aus, um das Vakuum zu füllen .« Palinski atmete tief durch. Komisch, je länger er sich mit dem Thema befasste, desto klarer erkannte er die Absichten, die dahintersteckten. »Da es noch keine wirkliche europäische Verfassung gibt, sondern nur diesen Kompromiss von 2007, ist die Versuchung, sich der normativen Kraft des Faktischen zu bedienen, wahrscheinlich sehr groß .« Geschwollener konnte man das kaum ausdrücken. Jetzt ging ihm allerdings nicht nur die Luft aus. »Also, ich weiß auch nicht«, meinte er schließlich resignierend.
»Beeindruckend«, anerkannte der ehemalige KGB-Oberst, »das war schon sehr gut. Ich denke, du siehst das im Wesentlichen richtig. Jetzt musst du nur logisch weiterdenken .«
Palinski blickte erst den Russen an, dann aus dem Fenster, und dann schüttelte er den Kopf. »Tut mir leid, aber für heute habe ich die Stufe der Inkompetenz erreicht .«
»Dann überlege doch, wie du Brionigg dazu bringen kannst, am Sonntag einfach nicht zu diesem Fußballspiel im Prater zu gehen. Kein Silvester, kein Feuerwerk. So simpel ist das .«
So einfach war das also. Palinski war versucht, Juri das zu zeigen, was man in Deutschland den Stinkefinger nannte. »Und
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