Balthazar: Roman (German Edition)
einem brennenden Haus gefangen war. Quer über seinem Bauch lag ein schwelender Holzbalken und versengte seine Haut, während ihn selbst nur Sekunden von der ewigen Finsternis trennten.
Charity, warum?
Aber er wusste, warum. Er hatte damals seine Schwester getötet. Nun revanchierte sie sich.
Verzweiflung überwältigte ihn, die ihn mit mehr Gewalt niederdrückte als der Balken auf seinem Körper. Es wäre so leicht, sich einfach zurückzulehnen und alles geschehen zu lassen. Aber er brachte es nicht über sich. Vielleicht war er ein Feigling. Vielleicht überdauerte der Überlebensinstinkt den Tod.
Mit all seiner verbliebenen Stärke hob Balthazar den niedergestürzten Dachsparren von seinem Bauch. Die Kleidung, die er noch anhatte, war stellenweise verbrannt, und seine Haut war schwarz und voller Blasen. Seine Finger umklammerten den Pflock, der aus seiner Brust ragte, und zogen ihn aus seinem Fleisch. Er stolperte zum nächsten Fenster und warf sich hindurch; Glasscherben bohrten sich in ihn, aber das war nur ein weiterer Schmerz, der zu den anderen Qualen hinzukam.
Auch der Sturz tat weh; die Knochen in seinem Unterarm brachen, als er auf dem Boden aufschlug. Doch irgendwie schaffte Balthazar es, einen Schmerzensschrei zu unterdrücken. Er kroch von dem brennenden Haus weg und erwartete jeden Augenblick, dass Charity oder Constantia zurückkehren würden, um ihn doch noch endgültig zu vernichten.
Aber es kam niemand. Während der Grippewelle in Philadelphia setzten nicht einmal die Feuerwehrleute mehr ihr Leben für andere aufs Spiel. Und offensichtlich hatten Charity und Constantia ihn bereits abgeschrieben.
Balthazar schaffte es bis zu einem verlassenen Gebäude am Stadtrand, wo Ratten hausten und ihm eine bequeme Nahrungsquelle boten. Dort blieb er noch lange, nachdem seine Verbrennungen und seine gebrochenen Knochen geheilt waren. Auch dann noch, als die Grippe-Epidemie längst ein Ende gefunden hatte. Er sprach mit niemandem mehr. Er ließ sich einen Bart wachsen und verbrachte lange Zeit damit zuzusehen, wie der rechteckige Lichtfleck, der durch das einzige Fenster des Raumes fiel, von einer Seite des Zimmers zur anderen kroch und wieder zurück, während die Sonne auf- und wieder unterging.
Dutzende Tage lang.
Hunderte Tage lang.
Balthazar spürte, wie er sich ohne menschliches Blut veränderte. Sein Fleisch hing ihm von den Knochen, und seine Finger krümmten sich immer mehr zu Klauen. Das Monster in ihm ergriff von ihm Besitz, aber das Monster konnte keinen Schmerz spüren, und so ließ Balthazar es zu. Sein Haar und sein Bart verfilzten, und seine Kleidung bestand nur noch aus Fetzen. Wenn das Ungeziefer sich nah genug an ihn heranwagte, griff er zu und schob es sich in den Mund. Er war so tief gesunken, wie er es verdiente; mehr Gedanken verschwendete er nicht an die Situation – wenn er denn überhaupt etwas dachte.
Eines Abends lag er auf dem Fußboden, gefangen zwischen Schlaf und Starre, und da hörte er ein tiefes, glucksendes Lachen. »He, seht mal. Ein verdammter Obdachloser.«
»Abschaum, wenn du mich fragst.«
»Vielleicht hat er trotzdem was bei sich.«
»Der Typ nicht. Sieh ihn dir doch an. Der braucht keine Kohle, der braucht ein Grab.«
»Das kann er haben, oder?«
Balthazar holte tief Luft, roch menschliches Blut, und das Monster in ihm hatte die beiden getötet und das Blut aus ihnen herausgesogen, lange bevor sein Geist ihm gesagt hatte, dass er in Gefahr war.
Beinahe eine Stunde lang stand er über den Leichen seiner Opfer und versuchte, sein menschliches Bewusstsein wiederzufinden. Balthazar konnte schon spüren, wie sein Körper ein wenig zu Kräften kam und die muskulöse Gestalt annahm, die er zu Lebzeiten gehabt hatte. Sein verfilzter Bart widerte ihn jetzt an, ebenso wie der Dreck auf seinem Körper. Doch er würde erst später Zeit haben, sich zu säubern.
Zuerst musste er herausfinden, wie lange er an diesem Ort gewesen war.
Immerhin hatte einer der toten Männer ungefähr seine Größe, sodass Balthazar dessen Hemd, Mantel und Schuhe anziehen konnte, ehe er sich nach draußen wagte. Es war spät in der Nacht. Das war auch schon alles, was ihm bekannt vorkam. Die gesamte Umgebung war neu aufgebaut worden. Die Straßen waren frisch gepflastert, und nirgends waren Pferde oder Kutschen zu sehen. Stattdessen rollten Automobile an ihm vorbei, deutlich schneller als in früheren Zeiten.
Es war also eine gute Idee gewesen, Aktien von General Motors zu kaufen ,
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