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Balthazar: Roman (German Edition)

Balthazar: Roman (German Edition)

Titel: Balthazar: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gray
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erstaunt darüber: Allein die Tatsache, dass Charitys Verkleidung so sauber und passend war, hatte ihm verraten, dass ihr jemand dabei geholfen haben musste. Und doch war Charity seit dem Tag ihres Todes der Freiheit nie so nahe gewesen wie jetzt. Dies war die beste Chance, sie zu retten, die sich Balthazar je bieten würde.
    Sie hatte ihn nicht angegriffen und sich nicht zornig von ihm abgewandt. War es möglich, dass seine Schwester endlich so weit war, sich helfen zu lassen?
    »Lass uns fortgehen«, sagte er. »Du und ich. Komm mit mir mit. Jetzt sofort.«
    »Wohin?«
    »Nach New York. Toronto. San Francisco. Ganz egal. Irgendwohin weit weg von hier, wo Redgrave uns nicht finden kann.«
    Balthazar streckte den Arm aus; er wollte ihn Charity um die Schultern legen, um sie wegzuführen, doch seine Schwester zuckte zusammen, als hätte sie Angst, geschlagen zu werden. Sie trug noch immer die alte Furcht in sich, und Balthazar wusste, dass er selbst daran die Schuld trug. »Ich kann nicht«, flüsterte sie. »Er wird es herausbekommen. Er wird mich finden. Das tut er immer, musst du wissen.«
    Also hatte sie schon zuvor versucht davonzulaufen und war gescheitert. Sein Herz schmerzte beim Gedanken an die lange Gefangenschaft seiner kleinen Schwester und an seine eigene, verfluchte Unfähigkeit, sie zu beschützen. Jetzt jedoch könnte alles anders werden. Er musste ihr das vor Augen führen. »Sieh dich doch um«, sagte Balthazar und deutete auf die leeren Straßen. »Da ist niemand, der uns aufhalten würde.«
    »Constantia würde es tun.«
    »Aber sie ist nicht Redgrave.«
    »Sie ist genauso böse. Vielleicht sogar noch böser. Du hast das nie gesehen, aber ich.«
    Charity redete Unsinn: Wer wusste besser über Constantia Gabrielis’ Trickkiste Bescheid als er? Aber Balthazar ließ sich nicht beirren. »Wo steckt Constantia denn gerade?« Bei seinem Glück würde sie jeden Augenblick mit einem Pflock in der Hand aus dem nächstgelegenen Haus stürzen.
    »Sie ist in dem Haus oben auf dem Hügel, das wir bezogen haben. Alle Bewohner waren so krank, dass sie uns nicht loswerden konnten. Na ja, der alte Mann war eigentlich nicht krank, aber auch der konnte uns nichts anhaben.« Charitys rosige Zunge fuhr kurz über ihre Mundwinkel, als ob sie sich bei der bloßen Erinnerung daran die Lippen lecken musste. »Ich mag diese Grippe nicht. Die Leute schmecken alle so komisch.«
    »Charity, konzentrier dich. Wenn Constantia nicht hier ist, dann kann sie uns auch nicht davon abhalten fortzugehen.« Könnte es wirklich so leicht sein? Es kam ihm unmöglich vor, und doch schien der Weg frei zu sein. In Balthazar stieg eine längst verloren geglaubte, wilde Hoffnung auf. Sie könnten aus dieser Geisterstadt fliehen und irgendwo anders neu anfangen. Er könnte Charity beibringen, wie man unter Menschen lebte, ohne ihnen Schaden zuzufügen, wie man Freundschaften schloss, und dass es einiges gab, das zu tun sich lohnte. Und er könnte ihr zeigen, dass ihre Zeit auf Erden sich manchmal, aber auch nur manchmal, so anfühlen könnte, als ob sie wichtig wäre.
    Seine Schwester legte die Stirn in Falten und war tief in Gedanken versunken. Es war das erste Mal seit lange vor ihrem Tod, dass er sie so auf etwas konzentriert sah.
    »Sie wird es wissen. Sie wird es herausfinden.«
    »Nur, dass du verschwunden bist.«
    »Wir können sie nicht einfach hierlassen, damit sie uns später bei Redgrave verpetzt.« Charitys dunkle Augen leuchteten plötzlich aufgeregt. »Wir müssen sie umbringen.«
    Balthazar hatte noch nie zuvor einen anderen Vampir getötet, allerding nicht, weil er es nicht gewollt hätte. Es hatte Nächte gegeben, in denen er keinen Schlaf gefunden hatte, weil seine Gedanken unablässig darum gekreist waren, was er Redgrave antun wollte. Er sehnte sich danach, ihm sein überhebliches Porzellangesicht zu zerschmettern. Ihm seinen Hals durchzuschneiden und zu sehen, wie er zu Staub zerfiel. Ihn anzuzünden und lange genug an seiner Seite zu bleiben, um ihn schreien zu hören. Bevor er Redgrave begegnet war, hatte Balthazar nicht einmal gewusst, dass man so sehr hassen konnte.
    Constantia … Er hasste sie ebenfalls, aber nicht auf diese Weise. Nicht genug, um Freude daran zu haben, sie zu töten.
    Aber er würde tun, was getan werden musste.
    Am Ende war es Balthazar alleine, der den Plan schmiedete; Charity konnte sich kaum lange genug konzentrieren, um ihm zu sagen, wo sich das Haus befand und wann er kommen sollte.

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