Balthazar: Roman (German Edition)
Schultern. Er hatte es nur mit Mühe geschafft, sie vor einem halben Dutzend Vampiren zu beschützen. Egal, wie stark oder wie schnell er war, und auch ungeachtet dessen, wie sehr er sich anstrengen mochte – er würde sie keinesfalls gegen Hunderte von Vampiren verteidigen können.
»Jetzt begreifst du es endlich.« Redgrave verschränkte seine Hände hinter dem Rücken; sein übliches, makelloses Äußeres war wiederhergestellt, als ob weder Skye noch Balthazar ihn an diesem Abend berührt hätten. »Du bist ein lebendiges Füllhorn, Skye. Eines, das ich auszuschöpfen gedenke. Und das ist der Grund, warum du dich mir anschließen solltest – weil ich die Fähigkeit habe, vorauszuschauen und auf lange Sicht zu planen. Das ist der Grund, warum ich sehe, wie klug es wäre, dich am Leben zu erhalten. Die anderen Vampire, die sich innerhalb des nächsten Monats hier drängeln werden, werden nichts anderes im Sinn haben, als dich bis aufs Mark auszusaugen.«
»Sie werden dir nicht alle folgen«, sagte Balthazar. »Einige sind zu anständig dafür. Und andere werden gegen dich kämpfen. Bald schon werden die Kriege nicht mehr nur um Skyes Blut geführt werden.«
»Die Adligen sind jetzt schwerer zu lenken als früher, nicht wahr? Jetzt, wo die Evernight-Akademie sie nicht mehr zusammenhält, sind sie mehr denn je verlorene Seelen. Skyes Blut wird mir unermessliche Macht verleihen. Loyalität, wie es sie sonst nirgends gibt.«
Er trat einige Schritte zurück und verschmolz mit den Schatten des Ganges. »Du kannst den Lauf der Dinge nicht mehr aufhalten, Balthazar. Aber es ist nicht zu spät, dich mir anzuschließen, wenn sie es schon nicht tun will. Bring sie zu mir und rette dich selbst.«
Balthazar schleuderte den Pflock so unvermittelt und mit solcher Wucht, dass Skye es erst bemerkte, als Redgrave sich in allerletzter Sekunde wegduckte. Eine leuchtend rote Schramme war auf seinem rechten Wangenknochen zu sehen, aus der aber kein Blut austrat. Vermutlich, weil sein Herz nicht schlägt , dachte sich Skye. Balthazar knurrte: »Dafür wirst du sterben.«
»Das würde auch nichts ändern«, stellte Redgrave klar. »Sie werden trotzdem kommen.« Er wurde eins mit den Schatten und war verschwunden.
Skye atmete aus; es klang beinahe wie ein Schluchzen. Dann legte sie Balthazar die Hände auf die Brust.
»O Gott, Balthazar, was sollen wir denn jetzt bloß tun?«
»Ich weiß es auch nicht.« Er blieb angespannt und auf dem Sprung, als hoffe er noch immer auf eine Gelegenheit, Redgrave mit bloßen Händen zu erwürgen.
»Wird es so kommen, wie Redgrave es prophezeit hat?«
»Wahrscheinlich.« Balthazars Frustration war beinahe greifbar. Er öffnete und schloss seine Fäuste und wippte auf den Füßen auf und ab, als ob er das tiefe Bedürfnis hatte, auf irgendetwas einzuschlagen, aber nichts Geeignetes in Reichweite entdecken konnte. Skye deutete seinen Gemütszustand ganz richtig, denn in ihr sah es genauso aus.
»Was soll ich denn jetzt nur tun?«
»Du solltest die Stadt verlassen. Verschwinde von hier, auch von mir. Geh irgendwo hin, wo Redgrave nicht nach dir suchen wird.«
»Ich kann doch meine Eltern nicht im Stich lassen.«
»Das haben sie auch getan.«
Diese harsche Bemerkung war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. »Sag so etwas nicht. Sie brauchen mich. Für sie muss ich stark sein. Sie haben doch schon Dakota verloren.«
»Ja, und darum dürfen sie dich jetzt nicht auch noch verlieren«, sagte Balthazar. »Bitte, Skye. Ich könnte es nicht ertragen, wenn dir irgendetwas zustieße.«
Er warf ihr über die Schulter hinweg einen Blick zu; in seinen Augen standen zugleich blanke Furcht und reines, unverfälschtes Verlangen. Skye erinnerte sich daran, dass sie ihn auf Abstand hatte halten wollen, aber das kam ihr in diesem Moment geradezu absurd vor. Als ob sie sich je von Balthazar würde trennen können. Er würde immer ein Teil von ihr sein.
Irgendwo weiter hinten auf dem Gang rief irgendwer, wahrscheinlich Coach Haladki: »He, ist da jemand? Wir schließen gleich ab.«
»Man sollte uns nicht zusammen sehen«, flüsterte Skye und schaute sich rasch nach einem Fluchtweg um, aber Balthazar hatte bereits etwas entdeckt.
»Los, komm«, murmelte er, zog sie beide in einen Wandschrank ganz in der Nähe und machte die Tür zu.
Nun waren sie an einem sehr engen und sehr dunklen Ort versteckt; ihre Gesichter waren nur Zentimeter voneinander entfernt. Skye legte Balthazar ihre Hände auf die
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