Balthazar: Roman (German Edition)
lassen Sie es mich wissen, wenn Sie irgendetwas brauchen.«
Sein neues Zuhause war ein Kutschhaus, welches so weit entfernt vom Heim der Findleys stand, dass er es kaum zwischen den Bäumen hindurch sehen konnte. Gut. Er würde also genug Privatsphäre haben. Obwohl ihn die Einrichtung nicht sonderlich interessierte, stellte er unwillkürlich fest, dass sie ganz nett war. Offenbar vermieteten die Findleys normalerweise an Touristen, die bei besserem Wetter kamen, um sich die Gegend anzuschauen und zu wandern, und so gab es überall einfache, ältere Holzmöbel. Das Haus bestand aus nur drei Räumen, einer kleinen Küche, einem altmodischen, aber strahlend sauberen Badezimmer und einem Schlafzimmer mit einer Gasheizung und einem riesigen Himmelbett, vermutlich für Paare auf Hochzeitsreise. Das Bett allein war größer als der gesamte Schlafbereich, der seiner Familie im Haus seiner Kindheit zur Verfügung gestanden hatte.
Einen Moment lang flackerte eine Erinnerung in seinem Geist auf. Er dachte an Weiden, an Fido, der bellte, und an den Klang von Charitys Stimme, wenn sie im Schlaf unzusammenhängende Worte gemurmelt hatte. Er erinnerte sich daran, wie er Redgrave zum ersten Mal gesehen hatte und wie misstrauisch er gewesen war. Und doch nicht misstrauisch genug.
Balthazar warf seine wenige Habe aufs Bett und ging hinaus, um die unmittelbare Umgebung in Augenschein zu nehmen. Wenn er die Lage seines neuen Wohnortes – er lag nun doch eher am Stadtrand als im Zentrum – richtig einschätzte, dann war Skyes Elternhaus nur etwa eine halbe Meile entfernt – eine Distanz, die er schnell überwinden konnte. Er lief Richtung Süden, am Haus der Findleys vorbei und hinein in den Wald, immer sicherer, dass er in der richtigen Richtung unterwegs war, bis er schließlich abrupt stehen blieb.
Zwischen dem Haus der Findleys und dem der Tierneys befand sich ein Fluss. Nein, eigentlich kein Fluss, sondern vielmehr ein kleiner Bach, aber er war immerhin breit genug, dass selbst bei diesen kalten Temperaturen das Wasser rauschte. Balthazar wusste das, weil er tief in sich diese unerklärliche und übermächtige Angst aller Vampire vor fließendem Wasser verspürte.
Ich komme nicht auf die andere Seite , dachte er, doch dann verdrängte er diesen Gedanken. Natürlich würde er den Bach überqueren können. Wenn es erforderlich wäre, würde er es schon schaffen. Aber es würde nicht leicht werden. Verdammt! Über ein fließendes Gewässer zu gelangen, war im besten Fall unangenehm für einen Vampir, im schlimmsten Fall paralysierend.
Er stellte sich vor, wie er über den Fluss schaute und auf der anderen Seite in der Nachmittagssonne Skye auf ihrem Pferd erblickte, so wie er sie an jenem ersten Abend zu Gesicht bekommen hatte. Das Licht der untergehenden Sonne war fast das gleiche wie damals, und er konnte Skye in allen Einzelheiten vor sich sehen: ihren wachsamen Blick, ihre straffen Schultern, die Umrisse ihrer schlanken Beine auf dem schwarzen Fell ihres Pferdes. Wenn sie dort drüben in Schwierigkeiten geraten würde …
Ja. Er würde es schaffen, über das Wasser zu gelangen.
Erleichtert drehte sich Balthazar um und machte sich auf den Rückweg zur Schule und zum Basketballspiel. Nach einigen Schritten jedoch bemerkte er, dass er nicht allein war.
Constantia wartete zwischen den Bäumen, und sie stand so still und aufrecht da, als wäre sie ein Teil des Waldes, so fragil und geheimnisvoll, dass er sich fragte, ob sie vielleicht nur eine Illusion sei. Er hasste es, dass er bei ihrem Anblick noch immer einen sehnsüchtigen Stich verspürte. Sie beobachtete ihn reglos, ihre Hände in den Taschen ihres langen Mantels vergraben, und sagte nichts. Instinktiv begriff Balthazar, dass sie nicht gekommen war, um gegen ihn zu kämpfen, und dass Redgraves Clan kein Interesse daran hatte, ihm etwas zuleide zu tun, solange er nicht zwischen den Vampiren und Skye stand.
Nein, Constantia musste irgendein sehr viel hinterlistigeres Interesse an ihm haben.
»Verfolgst du mich?«, fragte Balthazar. »Ich dachte, das hättest du längst aufgegeben.«
»Du bist ein ziemlicher Langweiler.« In Constantias Stimme schwang ein leichtes Lachen mit, und wie immer warf sie ihm einen Blick zu, der höhnisch und verlangend zugleich war.
»Ich warte immer noch darauf, dass du irgendwann mal unterhaltsamer wirst, Balthazar. Während des ersten Jahrhunderts ungefähr schien sich das Warten zu lohnen. Heutzutage sieht das schon anders aus. In
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