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Balthazar: Roman (German Edition)

Balthazar: Roman (German Edition)

Titel: Balthazar: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gray
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sich wegen der Schlachtenbezeichnung durch die Nordstaaten und die Konföderierten herumzustreiten, war nur ein armseliger Ablenkungsversuch. Ja, auch er hatte in diesem Krieg genug Menschenblut getrunken. Es war ein Gnadenakt, hatte er sich immer wieder selbst gesagt, und das stimmte auch, denn die verwundeten, sterbenden Männer sehnten sich nach einem raschen, weniger schmerzhaften Tod. Aber er hatte es nicht aus Mitleid getan. Er hatte von ihnen getrunken, weil er ihr Blut wollte. Als er sich im letzten Jahr aus dem Krieg zurückgezogen hatte und nach New York City zurückgekehrt war, war der Hauptgrund dafür gewesen, dass er sich vor dem gefürchtet hatte, was aus ihm geworden war.
    »Balthazar?«, flüsterte Charity. »Bist du es wirklich?«
    Der kindliche Klang ihrer Stimme schnitt ihm durch Mark und Bein. Balthazar konnte den Anblick seiner Schwester kaum ertragen, wie sie dort neben dem stand, der sie zu seiner Gefangenen gemacht hatte, und so beschmutzt und weggeworfen wie eine kaputte Puppe aussah. »Ja. Ich bin es. Komm her, Charity.«
    »Du gehst nirgendwo hin, Charity.« Redgrave streckte eine Hand aus, um Charity aufzuhalten, und seine Handfläche ruhte auf ihrem Unterleib – in der schamlosen Geste des Besitzers. Charity blieb reglos stehen, und ihre Augen suchten Redgraves Blick, als wüssten sie nicht, wohin sie ansonsten schauen sollten.
    »Balthazar. Wen versteckst du dort drinnen? Sollen wir mal nachsehen?«
    Der eisige Stich, der Balthazar in die Glieder fuhr, lähmte ihn beinahe. Sein eigenes Schicksal – was spielte das für eine Rolle, wo er doch ohnehin verdammt war? Aber jeder einzelne dieser Menschen im Innern des Lagerhauses hatte noch sein Leben und seine Seele zu verlieren. Sie mussten beschützt werden, um jeden Preis.
    Balthazar schluckte schwer. »Wenn ihr mich wieder bei euch haben wollt, dann werde ich mitkommen.« Jede Silbe schmeckte bitter in seinem Mund.
    Charitys kindliches Gesicht leuchtete auf. Einen Augenblick lang sah Balthazar seine elendige Zukunft als Constantias Spielzeug und als Charitys schweigender Begleiter und Bruder vor sich, und er versuchte, sich mit dieser Aussicht abzufinden. Wenn das der Preis für die Leben der Unschuldigen war, dann würde er ihn bezahlen müssen
    »Wie wunderbar wäre es, dich wieder bei uns zu haben.« Redgrave machte einen Schritt auf ihn zu. Die Gaslaternen in der Nähe zeichneten sein aristokratisches Profil in der zunehmenden Dunkelheit scharf nach. Seine goldenen Augen funkelten, als er mit einer Hand in schwarzem Handschuh nach Balthazars Kinn griff und seinen Kopf von rechts nach links drehte, als begutachte er ein Pferd, das er gerne kaufen wollte. Das Leder war kalt und weich auf Balthazars Haut. »Aber du hast uns schon einmal den Rücken gekehrt. Welche Garantie hätten wir, dass das nicht wieder geschieht?«
    »Ihr habt eine Geisel«, sagte Balthazar, und seine Stimme war leise und klang wie ein Knurren. »Das wisst ihr doch nur allzu gut.«
    »Aber ich würde der kleinen Charity doch nie etwas antun. Jedenfalls in keiner Weise, die sie nicht genießt. Sie ist und bleibt mein Lieblingsspielzeug. Du musst dir also etwas anderes einfallen lassen. Das verstehst du doch, oder?« Redgrave ließ seine Hand sinken, und Balthazar spürte die Gefahr, die sich zusammenbraute. »Ich fürchte, wir können dir nicht mehr trauen. Ich weiß, dass du um deiner Schwester willen keine Jagd auf uns machen würdest, aber darüber hinaus … Niemand weiß, wozu du fähig bist. Du selber vermutlich am allerwenigsten.« Sein herzloses Lächeln war viel zu nah vor Balthazars Gesicht. »Wenn du jemals dein ganzes Potenzial ausschöpfen würdest, dann wärest du eine Kreatur, mit der man rechnen müsste. Aber du bist viel zu sehr damit beschäftigt zu betrauern, was du verloren hast. Zu beschäftigt damit, Mitleid mit den Schwachen zu haben und dir zu wünschen, wieder ein Mensch zu sein.«
    In der Ferne war erneut ein lautes, krachendes Geräusch zu hören, das durch die Straßen hallte, und eine weitere Welle von Geschrei flutete heran. Roter und orangefarbener Feuerschein flackerte weit weg hinter den Umrissen der Gebäude auf. Diese Hitze, dieser Aufstand, diese entsetzlichen Momente – es schien, als ob das alles niemals enden würde.
    Balthazar versuchte, Charitys Blick aufzufangen in der Hoffnung, sie möge die Gunst der Stunde nutzen und sich von Redgrave abwenden. Zwar wären sie nicht einmal gemeinsam stark genug, ihn zu besiegen, aber

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