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Balthazar: Roman (German Edition)

Balthazar: Roman (German Edition)

Titel: Balthazar: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gray
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etwas, das er schon immer in Redgraves Gesicht hatte sehen wollen: pure Angst. Allerdings verschaffte es Balthazar keine Befriedigung, denn er hörte Constantia flüstern: »Geister.«
    Geister . Die Seelen von ermordeten Toten, die sich nicht von der Erde lösen konnten, weil sie noch etwas zu erledigen hatten. Das jedenfalls hatte Redgrave immer gesagt. Wann immer er von Geistern gesprochen hatte, hatte tiefstes Entsetzen und größter Hass in seiner Stimme gelegen. Er hatte stets geschworen, dass es sich bei ihnen um die Erzfeinde der Vampire handelte, die ihnen als einzige Kreaturen auf Erden mühelos etwas antun konnten. In Redgraves Gefolge hatten sie um jedes Gebäude, von dem es hieß, dass es dort spuken würde, einen großen Bogen gemacht. Obwohl Geister gelegentlich auch menschliche Wesen quälten, zeigten sie sich den Sterblichen – wenn überhaupt – nur selten. Die bloße Anwesenheit von Vampiren konnte die Geister allerdings zu Erscheinungsformen treiben, die ebenso beeindruckend wie gefährlich waren. Einst hatte Constantia Balthazar ins Ohr geflüstert, als sie Kopf an Kopf auf dem Bett lagen, dass Redgrave seinen Clan nur aus einem einzigen Grund gebeten hatte, die lange Reise in die neue Welt auf sich zu nehmen: Er hatte geglaubt, dass es in einer so verlassenen Gegend weniger Geister geben würde.
    Aber die Neue Welt war inzwischen gar nicht mehr so neu, und während das blaue Licht heller leuchtete und Balthazar schwindlig und übel im Magen wurde, wusste er, dass Redgraves Ängste berechtigt gewesen waren.
    Die Geister waren die einzigen Wesen, die noch ruchloser als er selber waren.
    Schmerz durchfuhr ihn wie alle anderen, als würde er mit einem Schwert aus Eis durchbohrt. Balthazar und die übrigen Vampire krümmten sich zusammen und fielen in einem Haufen übereinander. Charity stürzte neben ihm zu Boden, und für einen winzigen Augenbick schauten sie sich in die Augen. Auch jetzt noch, zwei Jahrhunderte später, hatte sie größere Angst vor ihm als vor Redgrave oder den Geistern.
    Erneut schnellte schmerzhaftes, geisterhaftes Licht zu ihnen herab. Irgendwie brachte Redgrave die Stärke auf, die Treppe wieder emporzuhasten und durch die Tür hinaus zu verschwinden. Sein Clan folgte ihm, Charity im Schlepptau. Balthazar versuchte noch, ihren Rocksaum zu fassen zu bekommen, doch der Schmerz hatte seinen Griff geschwächt, und der Kleiderstoff glitt nur kurz über seine Fingerspitzen, ehe seine kleine Schwester verschwunden war.
    Nun hatten die Geister nur noch einen Vampir, den sie heimsuchen konnten, nämlich Balthazar, und die Angriffe wurden wilder und gewalttätiger. Balthazars Körper reagierte unwillkürlich auf die Attacken, und seine Reißzähne wuchsen in seinem Kiefer, als wenn er einem Gegner ausgesetzt wäre, den er damit hätte abwehren können. Er hörte die Schreie der Menschen unten im Keller, die entsetzt waren von dem, was sie miterleben mussten, obwohl sie kaum verstanden, was sie da sahen. Balthazar taumelte zum Eingang, sah jedoch noch einmal zurück und entdeckte Richard. Im Gesicht seines alten Freundes lag mehr Abscheu als Mitleid.
    Richard hatte ihn noch nie in seiner tatsächlichen, monströsen Gestalt gesehen. Dieser Anblick würde sich nie wieder aus seinem Gedächtnis löschen lassen. Auch wenn er die ganze Wahrheit nicht ahnen konnte, so musste er jetzt doch begriffen haben, dass Balthazar nicht menschlich war. Die zarten Bande, ihre zerbrechliche Freundschaft, waren dahin. Und mit ihr auch Balthazars Verbindung zur menschlichen Welt.
    Er schaffte es hinaus auf die Straße und fiel dort in eine Schlammpfütze. Als er das brackige Wasser ausspuckte und hochblickte, sah er, dass Redgrave, Charity und die anderen verschwunden waren; zweifellos waren sie so schnell, wie sie nur konnten, von diesem Ort geflohen.
    Der feuerrote Himmel über seinem Kopf schien zu lodern, und aus der Ferne wehten Schreie durch die Nacht zu ihm herüber. Balthazar dachte: Sie haben mich hier in der Hölle zurückgelassen.

14
    Am nächsten Tag kam Redgrave nicht. Er näherte sich Skye nicht in der Schule, er lauerte ihr nicht vor ihrem Elternhaus auf, nichts dergleichen.
    Am darauffolgenden Tag ebenfalls nicht.
    Und am dritten Tag danach immer noch nicht.
    An diesem Tag schrieb Skye während der Freiarbeitsstunde eine Textnachricht an Balthazar: » Hast du Redgrave tatsächlich endgültig verscheucht? Oder hast du ihm die ganze Sache ausgeredet? «
    » Ich denke: weder noch. Ich kann

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