Balthazar: Roman (German Edition)
musste die anderen schnell einholen.
Skyes Verfolger waren ihm unbekannt. Das bedeutete, dass sie vermutlich jung und höchstens hundert Jahre alt waren. Jüngere Vampire waren schwächer. Balthazar war fest entschlossen, sich jeden Erfahrungsvorsprung seiner nahezu vierhundert Jahre zunutze zu machen.
Er sprang vom Baum herunter; vor dem grauen Himmel war er nur ein langer, schwarzer Strich, bis er direkt vor einem von Skyes Verfolgern landete. Der Aufprall auf dem Boden hätte einem Menschen die Beine zerschmettert; auch Balthazar spürte Schmerz, blieb aber einfach stehen. Der Vampir wäre beinahe mit ihm zusammengestoßen und hätte fast das Gleichgewicht verloren. Das war durchaus hilfreich, als Balthazar ihm seine Faust ins Gesicht hieb.
Der Vampir wich taumelnd zurück. Balthazar schlug ihn erneut und zielte dieses Mal nicht auf seine Nase, sondern auf eine Stelle gut zehn Zentimeter darüber, tief in seinem Schädel. Beim Auftreffen hörte er das knirschende Geräusch von Knochen, er spürte heißes, nasses Blut über seine Hand laufen, und der Vampir fiel der Länge nach zu Boden. Bei einem Menschen wäre dieser Hieb tödlich gewesen. Bei einem Vampir sorgte er für Aufschub, sonst nichts. Balthazar griff nach einem festen, nicht zu dicken Stock, der in der Nähe lag, und durchbohrte damit die Brust des Vampirs.
Sofort schwand der Schimmer des Bewusstseins aus den Augen von Balthazars Gegner, ebenso wie die schmerzverzerrte Grimasse von seinem Gesicht. Was nun vor Balthazars Füßen lag, war nichts weiter als ein toter Körper. Der Vampir würde nicht mehr aufwachen, bis jemand den Pflock aus ihm herauszöge. Blieb bloß zu hoffen, dass das nicht geschehen würde, ehe Balthazar zurückkam und der nichtsnutzigen Kreatur den Kopf abschlagen konnte.
Einen Moment lang fühlte Balthazar eine grimmige Zufriedenheit. Doch dann hörte er Skye schreien.
Er rannte los, wusste aber, dass er es nicht mehr rechtzeitig schaffen würde. Lorenzo hatte sie nicht nur eingeholt, er hatte es sogar geschafft, Eb am Zügel zu fassen, und er riss Skye auf den Boden am Ufer des Flusses hinunter. Sofort nahm sie eine Kampfposition ein und suchte sich einen festen Stand, wie er es ihr beigebracht hatte, sodass sie Lorenzo in Schach halten konnte. Da drei weitere Vampire sie umringten, verschaffte sie sich auf diese Weise allerdings lediglich wenige Sekunden Verschnaufpause.
In dem verzweifelten Versuch, rechtzeitig bei ihr zu sein, erhöhte Balthazar seine Geschwindigkeit noch.
Doch jemand anders erreichte den Schauplatz vor ihm.
Zuerst sah Balthazar nur einen verschwommenen, goldenen Streifen, dann wurde Lorenzo zurückgeschleudert, bis sein Körper gegen einen Baum in der Nähe prallte und zu Boden sank. Der Streifen bremste ab und nahm Gestalt an. Redgrave!
»Wie kannst du es wagen?« Redgrave klang nicht so zornig, wie er aussah; sein Ton war wie immer höflich, beinahe gelassen. Er hätte Lorenzo auch tadeln können, weil er ohne Mütze hinaus in die Kälte gegangen war. »Waren meine Anweisungen nicht eindeutig?«
»Du weißt, was sie kann!«, sagte einer der Vampire beinahe flehentlich.
»Und ihr wisst, dass ich vorhatte, sie für mich zu beanspruchen«, erwiderte Redgrave. »Das sollte für euch ausreichen. Da das nicht der Fall ist, braucht ihr vielleicht eine kleine Ermahnung.«
Wie aus dem Nichts erschien Constantia; ihre langen, blonden Haare wehten im Wind, ihr grauer Mantel bauschte sich hinter ihr wie ein Umhang. Sie packte einen der herumstehenden Vampire an der Kehle. Ihr Griff war so fest, dass Balthazar selbst aus der Ferne Knorpel knirschen hörte. Einem Vampir die Luft abzuschnüren, tötete ihn nicht, aber er wusste aus Erfahrung, dass es höllisch wehtat.
Skye hatte ihre Sinne so weit beisammen, dass sie weglief, weg von Redgrave und den anderen über den nächsten Hügelkamm hinweg. In diese Richtung musste auch Eb verschwunden sein. Balthazar hätte das Durcheinander liebend gerne genutzt, um Redgrave anzugreifen, in der Hoffnung, dass die Ablenkung ihm die Gelegenheit bieten würde, seinem Erschaffer den Schädel einzuschlagen. Er entschied jedoch abzuwarten, ob sich Redgraves eigener Clan gegen ihn durchsetzen würde. Das wäre auf jeden Fall eine nette Abwechslung. Er drehte sich um und wollte Skye hinterherjagen, als er sich plötzlich Auge in Auge mit einer von Redgraves loyalen Anhängerinnen und Handlangerinnen gegenübersah.
Dort stand sie, nur einige Schritte von ihm entfernt, reglos
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