Balthazar: Roman (German Edition)
seine Eltern sterben …
… »Trink«, sagte jemand. Das Verlangen nach Blut erfüllte ihn, und es war das einzige Bedürfnis, das sein tauber und blinder Körper verstand. Seine Beute lag in seinen Armen. Seine Reißzähne schoben sich aus seinem Kiefer und rissen seine Zunge auf. Der Geschmack seines eigenen Blutes hatte keinerlei Auswirkungen. Aber Menschenblut, lebendiges Blut, das war etwas anderes, etwas Notwendiges …
… Balthazar versucht, an die Oberfläche des Flusses zu gelangen, aber er ist zu benommen, um sich zu bewegen. Das Wasser scheint wie ein Sturmwirbel um ihn herum zu toben, seinen Körper zu umhüllen und ihm die Sicht zu nehmen wie ein Schleier.
Balthazar kämpft darum, sich von den Seilen zu befreien, aber sie sind zu fest um seine Handgelenke geschlungen. Die Vampire lachen, als sie die losen Enden an die Dachsparren knüpfen, sodass seine Arme über seinem Kopf fast aus den Gelenken gerissen werden und seine Füße kaum noch den Boden berühren. Noch vor Stunden hat er keine Ahnung gehabt, dass solche Kreaturen überhaupt existieren. Dann gehen die Vampire auf ihn los, ihre Zähne reißen sein Fleisch auf, und die ganze Welt um ihn herum verblasst und wird eiskalt, bis Balthazar schließlich von einem Weiß umgeben ist, das dunkler ist als jedes Schwarz.
Balthazar versucht, sich zu zügeln, aber Skye ist so nah, so wunderschön, und sein Verlangen nach ihr, das er sich bislang kaum eingestanden hat, ist nun seine ganze Welt …
… Wieder war da dieses Flüstern: »Trink.«
Er hörte auf, dagegen anzukämpfen. Die Erinnerung daran, warum er überhaupt kämpfen wollte, entglitt ihm. Er rollte sich über Skye und biss zu. Und dann spürte er den heißen Strom von Blut in seinem Mund …
… Nichts hat nun mehr Raum außer der puren, animalischen Freude am Trinken.
Und schließlich ist da gar nichts mehr …
Massachusetts, 1640
Es war nicht wie sonst, wenn er aufwachte.
Zuerst spürte Balthazar nichts als Schmerz. Sein Fleisch war an seinem Hals, seinen Armen, seinen Beinen, seinem restlichen Körper, eigentlich überall aufgerissen. Die Fesseln hatten längst die Haut an seinen Handgelenken durchgescheuert. Sein Körper, der mit seinem ganzen Gewicht an diesen Seilen baumelte, hatte zunächst Höllenqualen erlitten und war dann gefühllos geworden, doch hin und wieder blitzten die Schmerzen erneut auf. Eine seltsame Stille umgab ihn, eine Stille, die eher in ihm selbst als außerhalb von ihm war und die er nicht begreifen konnte.
Er erinnerte sich nicht daran, was mit ihm geschehen war. Doch nein, es war nicht so, dass er sich nicht erinnerte, sondern er war an einem Ort jenseits von Erinnerung und von Gedanken. Er bestand nur noch aus Schmerz – aus Schmerz und aus noch etwas anderem: Hunger.
»Da bist du ja.« Redgraves Stimme klang wieder weich und honigsüß. »Wir dachten schon, du würdest dich nie zu uns gesellen. Constantia hat sich bereits gefragt, ob wir wohl ein Grab für dich ausheben müssen.«
Weiche, weibliche Arme umschlangen seine Hüften. Balthazar schaffte es, mühsam die Augen zu öffnen und sich umzublicken. Überall in der vertrauten, alten Scheune war geronnenes Blut. Die zerrissenen Überreste seines Hemdes und seiner Jacke lagen auf dem Boden im Stroh. Constantia hielt ihn in der gleichen Weise umklammert wie Charity früher ihre Puppen, die sie immer mit sich herumgeschleppt hatte.
»Ist das nicht viel besser?«, fragte sie und lächelte ihn an. »Du wirst schon sehen.«
Ein Bild stieg vor seinem geistigen Auge auf: Seine Mutter und sein Vater, aus denen alles Blut herausgesogen worden war, lagen mit zerschmetterten Gliedern tot auf dem Boden. Er glaubte, sich daran zu erinnern, wie er bei diesem Anblick geschrien hatte, aber nichts davon schien nun noch eine Rolle zu spielen.
Balthazar versuchte zu sprechen, aber seine Kehle war trocken. »Ich bin … Ich bin hungrig.« Warum war er nicht blind vor Zorn und versuchte, zu kämpfen oder zu erfahren, wo seine Schwester war? Tief in seinem Innern wusste er, dass all diese Dinge wichtig waren, aber er schien noch niemals einen derartigen Hunger verspürt zu haben. Es war, als ob er noch nie etwas zu sich genommen hätte, sein ganzes Leben lang nicht, und als ob er hier und jetzt sterben würde, wenn er nicht etwas zu essen bekäme.
Erst in diesem Augenblick begriff er, wo die Stille in ihm herrührte.
Sein Herz schlug nicht mehr.
Redgrave schien zu wissen, was er dachte. Er lächelte ihn samtweich
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