Bamberger Verrat
seines Glücks erreichte er, als er einen Jagdschein bekam. Die Jagd und der Wald waren für ihn das Wichtigste in seinem Leben. Nach dem Verlust seiner Heimat in der Kindheit hatte er in den Willersdorfer Wäldern eine neue Heimat gefunden. Dort kannte er jeden Weg, jeden Felsen, jedes Tal, jeden Bach, die Tiere und die Pflanzen. Ein paar verletzte Rehkitze brachte er mit nach Hause und zog sie dort auf; sie wurden die liebsten Spielkameraden seiner Tochter.
Mit groÃem Eifer ging er daran, ein Jagdkollektiv zu gründen: Zehn Männer unterschiedlichen Alters gehörten dazu, die beiden Revierförster und zwei Waldarbeiter, ein Maurer, ein Bäcker, ein paar alteingesessene Bauern. Dem kontrollierenden Stasi-Mitarbeiter fiel auf, dass dieser Personenkreis
jegliche politische Arbeit für unseren Staat ablehnt und sämtliche Angehörige aktive Verbindungen nach Westdeutschland unterhalten
. Doch Franz Novak kam gar nicht auf die Idee, auf solche Aspekte zu achten. Wichtig waren für die Mitglieder des Kollektivs allein die Begeisterung für die Jagd und Kenntnisse in jagdlichen Dingen.
Franz Novak wusste so viel darüber, dass er Schulungen für die anderen abhalten konnte. Das Kollektiv traf sich häufig, bei Franz Novak zu Hause oder â wenn er Dienst hatte â auch in seinen Diensträumen. Das waren aus Sicht der Partei die ersten dunklen Flecken auf Franz Novaks weiÃer Weste. Noch übler vermerkten die Parteivertreter jedoch seine Freundschaft mit dem Pfarrer von Willersdorf, den er wegen seiner groÃen Allgemeinbildung bewunderte. Naserümpfend wird im entsprechenden Stasi-Bericht vermerkt,
dass er zum Jahreswechsel 1954/55 in Willersdorf sogar die Kirchenklocken
(sic!)
läutete
.
Franz Novaks innere Distanz zur offiziellen Parteilinie wurde immer gröÃer. Zunehmend wurden ihm die Parolen dieses angeblich freiheitlichen, friedliebenden und gerechten Staates suspekt. Er hatte keine Lust mehr, als Politoffizier die jungen Soldaten, die ihm anvertraut waren, mit diesem Geschwafel zu indoktrinieren. Anfang 1955 verunglückte er mit seinem Motorrad schwer, zog sich Knochenbrüche zu und blieb lange seiner Arbeit fern. Als er im Herbst wieder zum Dienst kam, bat er um seine Ablösung als Politoffizier und um Versetzung zum sogenannten operativen Dienst. Er gab an, er sei in die Ausbildung zum Politoffizier nur so
hineingerutscht und habe noch nie Lust und Laune dazu verspürt.
Doch die Reaktion auf seinen Antrag lieà auf sich warten. Franz Novak löste sein Dilemma dadurch, dass er sich vorbildlich um die technische Ausrüstung, die Wagen und die Waffen, kümmerte und um die anfallenden Personalangelegenheiten der Soldaten, aber kaum noch um die politische Ausbildung. Sofort nach Dienstschluss verschwand er im Wald; oft schlief er auch drauÃen, angeblich
um sich abzuhärten und den Soldaten ein Beispiel zu geben
.
Aber es war eine Flucht, denn auch im privaten Bereich hatte die heile Welt des Franz Novak zu bröckeln begonnen. Für Sonja war Franz ihr Ein und Alles. Auch Franz Novak liebte seine Frau, gewiss, aber das hinderte ihn nicht daran, verschiedene Liebschaften zu haben, wie man das damals nannte.
Der charmante, witzige Mann, der im Gegensatz zu seinen Kameraden nicht rauchte und kaum trank, gefiel den Frauen. Eine Zeugin aus Willersdorf beschrieb das so: »Er sah ja auch toll aus auf seinem Motorrad, braun gebrannt, durchtrainiert, mit so einem selbstbewussten Glitzern in den Augen ⦠Er roch nach Wald und Unabhängigkeit. Die Frauen machten es ihm leicht, und das tat ihm nicht gut.«
SchlieÃlich wurde eine seiner Geliebten schwanger. Franz Novak bedrängte sie, das Kind abtreiben zu lassen, aber sie lief ihm davon, nach Leipzig. Dort kam im Herbst 1957 ihr Kind zur Welt. Also musste er Alimente zahlen und seiner Frau, die genau auf seine Einkünfte achtete, davon erzählen. Sie machte ihm fürchterliche Szenen.
In dieser Zeit muss die dritte Szene spielen, die Hans Kromm der Studentin Julia Mai im Gefängnis erzählt hat. Kromm war als Innendienstleiter nach Willersdorf versetzt worden. Novak lud ihn häufig zu sich nach Hause ein und nahm ihn oft mit auf die Jagd. So war das auch an jenem Tag geplant, den die Szene beschreibt.
SKIZZEÂ 3 VON JULIA MAI NACH DEM BERICHT VON HANS KROMM
»Ist Franz nicht da? Wir wollten unseren Jagdausflug besprechen.«
»Komm doch erst mal rein.
Weitere Kostenlose Bücher