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Bamberger Verrat

Bamberger Verrat

Titel: Bamberger Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Degen
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für den Dienst an der Grenze nicht gehen lassen. Anstelle von Ausstieg boten sie ihm Aufstieg an: Besuch der begehrten Offiziersschule in Sondershausen mit der Aussicht, anschließend als Kompanieführer in Willersdorf eingesetzt zu werden.
    Keine Wandzeitungen mehr, kein Politgeschwafel. Und als Kompanieführer hätte er eine Stellung, in der ihn die Parteigrößen vor Ort am A… lecken könnten. So scheint Franz Novak gedacht zu haben, als er das Angebot annahm, und leider hat er es später auch laut gesagt.
    Er absolvierte die Ausbildung mit Leichtigkeit und beendete sie mit einem sehr guten Staatsexamen. Zum Abschluss des Lehrgangs kam es zu einer bezeichnenden Szene: Eigentlich hätte er in einer feierlichen Zeremonie als vorbildlicher Offizier ausgezeichnet werden sollen. Vorher aber hätte er wie die anderen Teilnehmer des Lehrgangs ein Dokument unterzeichnen sollen, in dem sie sich verpflichteten,
so lange Dienst in den bewaffneten Organen zu versehen, wie es die Partei für erforderlich hält
.
    Alle unterschrieben, nur Franz Novak nicht, mit der
fadenscheinigen, unparteimäßigen Begründung, er könne dies nicht
. Daraufhin bekam er keine Ehrenurkunde und wurde lediglich zum Oberleutnant befördert. Das erboste ihn so, dass er sich zunächst weigerte, die neuen Dienstgradabzeichen anzulegen. Erst auf Befehl seines Vorgesetzten zog er die Uniform an.
    Im April 1957 kehrte er als Kompanieführer nach Willersdorf zurück. Von da an bezeichnen ihn die Akten der Stasi als
auffällig
. Immer wieder musste er sich wegen
dienstwidrigen Verhaltens
der Kritik der zuständigen Parteikontrollkommission stellen, zum Beispiel als er im Dezember 1957 einen westdeutschen Bürger ohne Genehmigung ins Grenzgebiet einreisen ließ oder weil er
seine Leute nicht scharf genug macht
.
    Zum Eklat kam es am 17.   Juni 1958, dem fünften Jahrestag des Aufstands von 1953. Dieser Aufstand gegen das Regime, der sich damals von Berlin aus rasch über das ganze Land verbreitet hatte und bei dem dreihundertdreiundachtzig Menschen während der Demonstrationen getötet, über fünftausend verhaftet und fast einhundert Personen standrechtlich erschossen worden waren (darunter siebzehn sowjetische Soldaten, die sich geweigert hatten, auf die deutschen Arbeiter zu schießen), war nach wie vor ein Trauma für die
DDR
-Oberen. Da die Niederschlagung dieses Aufstands im Westen so viel Empörung verursacht hatte, fürchteten sie
Grenzprovokationen
zum Jahrestag und ordneten verstärkte Grenzkontrollen an.
    Doch Franz Novak glaubte, es besser zu wissen. Er hatte ja mit den bayerischen Grenzern gesprochen. Er setzte die Befehle nur teilweise um, holte zum Beispiel die privaten Grenzpolizeihelfer nicht von den Wiesen, wo sie Heu machten, an die Grenze. Doch er selbst war den ganzen Tag draußen auf Postenkontrolle, und als er um zehn Uhr abends auf die Dienststelle zurückkam, saßen da zwei Kontrolleure der Grenzabteilung. Sie kritisierten seine Maßnahmen und unterstellten ihm, er sei wohl auf der Jagd gewesen. Da zog er seinen Uniformrock aus, warf ihn auf den Tisch und schrie, sodass alle es hören konnten:
»Nun reicht’s mir aber. Dieses Genöle habe ich jetzt satt. Ich betrachte mich als entlassen. Bitte machen Sie mit mir, was Sie wollen.«
    Sofort wurde ein Parteiverfahren gegen ihn in Gang gesetzt; am 29.   7.   1958 musste er sich vor der Parteikontrollkommission verantworten. Er entschuldigte sich und versuchte zu erklären, wie es so weit hatte kommen können, aber er hatte von vornherein keine Chance.
    Er wurde aus der Partei ausgeschlossen und zum Feldwebel degradiert. Am 31.   10.   1958 wurde er aus der Grenzpolizei entlassen. Das alles hätte er hingenommen. Was ihn aber zutiefst traf, weil er es als absolut ungerecht empfand, war der Entzug seines Jagdscheins; damit konnte er sich bis zum Schluss nicht abfinden.
    Nach seiner Entlassung musste er auf Arbeitssuche gehen. Doch jetzt saßen die Genossen am längeren Hebel. Mit
höhnischem Grinsen
bedeuteten sie ihm, für ihn hätten sie keine Arbeit. Diese Demütigung konnte sein Stolz nicht ertragen; er entschloss sich zur Flucht in den Westen. Es war so etwas wie eine Trotzreaktion. Eigentlich wollte er nicht fort von zu Hause, von seinem Dorf und seinen Wäldern. Aber wenn »die« nicht in der Lage waren, seine Qualitäten zu schätzen, und ihm

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