Banalverkehr - Roman
damit aus einem freundlichen Lächeln kein lautes Gegröhle wird.
»Richtig. Ich denke, wir werden hier und heute leider nicht zusammenkommen.«
Itsy steht auf, nimmt ihre Tasche von seinem Schreibtisch und schüttelt ihm die Hand. »Ist vielleicht auch besser. Nächsten Monat hätte ich eh Urlaub gebraucht.«
Itsy ist verrückt. Eindeutig. Wir erkennen einander. Ich verliebe mich sofort in sie.
»War trotzdem schön bei euch!«, sagt sie und stöckelt aus dem Büro.
»Was war denn das?«, fragt Otto.
»Unglaublich war das«, sage ich.
Die hat bestimmt auch schon Bäume umarmt. Itsy. Irgendwas mit I!
Es trifft mich wie ein Schlag.
Ich renne ihr also durch das halbe Treppenhaus hinterher und frage sie, ob sie meine neue beste Freundin sein will. Sie fragt nicht nach, nicht warum, sie ist es einfach. Ich frage sie noch, ob ihre Brüste echt sind, und sie zieht ihr Top hoch. Mitten. Im. Treppen. Haus. Damit überrascht sie mich so sehr, dass ich mir schnell die Hand vor die Augen halte.
»Und?«, fragt Itsy. »Hast du irgendwelche Narben gesehen?«
Ich spreize die Finger, ohne die Hand von meinen Augen zu nehmen, und schiele durch einen kleinen Spalt. »Ich dachte grad, ich erblinde. Wie soll ich da auf irgendwelche Narben achten?«
Itsy zieht ihr Top wieder runter und sagt: »Siehst du.«
Am Abend sitzen wir zusammen in einem kleinen, aber exklusiven Club, den Gestalten nach zu urteilen, die sich hier herumtreiben. Alle sind schick und noch schicker, und ich fühle mich ein bisschen wie auf der New Yorker Fashion Week, als würde ich mir gerade die neuesten Kollektionen reinziehen. Ich hätte sämtliche Körperteile darauf verwettet, dass ich jeden Club in dieser Stadt kenne, aber ich muss mir selbst eingestehen, dass ich wohl nur die Locations wahrnehme, in denen ich selbst auffalle. Und das sind eher die durchschnittlichen, in denen die Getränke noch bezahlbar sind, in denen ich Bankkaufmännern und Jurastudenten sofort ins Auge steche, weil ich wirke wie ein kleiner Swarowskikristall in einem dicken Hundehaufen. Hier aber sind die Rollen vertauscht, ich komme mir vor wie ein Furz der Mittelmäßigkeit, während vor mir Dutzende Diamanten blinken und Champagner perlt, von dem ein Glas so viel kostet wie die gesamte Garderobe, die ich heute am Leib trage. Und allein mein Oberteil ist von D&G .
»Hierher kommen viele ausländische Geschäftsleute. Russen zum Beispiel. Super spendabel, sag ich dir«, schreit Itsy mir unter der lauten Musik ins Ohr.
»Kommst du öfters her?«, schreie ich zurück.
Itsy nickt, und ich bewundere sie. Sie hat nicht mal einen Job, und trotzdem ist sie einer von den Diamanten. Es reicht, sie seit ein paar Stunden zu kennen, um zu wissen, dass es um Nichts geht. Ein wunderschönes, glitzerndes, Schmerz befreites Nichts. Die einzige Reflexion käme von den kleinen Steinchen, die sie in Gold gefasst um den Hals trägt. Itsy will schön sein, feiern und leben. Sie hat keine Freunde, die ihr so viel bedeuten würden, dass sie sie verletzen könnten, und keine Skrupel, ihr Hirn für einen Abend lang in der kleinen, schwarzen Prada-Clutch zu lassen, wo es sich den Platz mit einem Lipgloss von Bobbi Brown und einem Wechselstring teilen muss.
»Wow«, sage ich und wünschte, in der kleinen Tasche gäbe es noch genügend Platz für mein eigenes Hirn.
»Warte mal kurz«, ruft Itsy, als sie jemanden erspäht, den sie scheinbar kennt. »Ich muss da mal eben rüber.« Sie springt auf und geht zu einem Mann im Maßanzug, der an der Bar lehnt. Sie sprechen einen Augenblick und verschwinden dann gemeinsam in Richtung der Toiletten. Ich bleibe sitzen, ziehe kalten Wodka durch einen Strohhalm und gäbe viel dafür, mich jetzt wohlfühlen zu können. Junge Frauen, die sich auf der Tanzfläche an irgendwelche Typen drücken. Der laute Beat, der auf den Kopf einhämmert. Die bunten Lichtblitze, die die Augen verwirren und den Blick trüben. Entweder geht es hier wirklich um essenzielle Fragen, oder ich bin einfach nur beleidigt, weil mich bisher noch kein Mann angesprochen hat. Und was mich auch interessieren würde: Wo sind eigentlich Itsy und der Anzugtyp? Geht es um Sex? Um Drogen?
In den Toilettenkabinen wird nur gepullert, nirgendwo eine Itsy. Ich gehe zurück zu unserer Couch in der Ecke und warte ungefähr eine halbe Stunde lang.
»Hey, schöne Lady«, höre ich von links, als sich ein Mann neben mich setzt. Na endlich. Er hat halblange, nach hinten gegelte Haare, trägt ein Markenhemd
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