Banalverkehr - Roman
Von ihm. IHM . »Christian ist letzte Nacht nicht nach Hause gekommen. Ich hoffe, Franzi war bei drei aufm Baum.«
»O je. Und wie geht es dir? Kater?«, schreibe ich zurück.
Während ich auf die Antwort warte, denke ich daran, wie schön der Abend war. Wie gut ich mich gefühlt habe, als ich mich mit IHM über die Arbeit und den Sommer unterhielt. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, vor allem, weil er mir geholfen hat, in der Zeit zurückzuspringen. Neunte Klasse, Puppe ist zarte fünfzehn und macht mit Rotzglocken-Linda einen Tanzkurs. Ich sehe mich selbst, wie ich sofort rot werde, wenn Daniel Koslowski mir über den Weg läuft. Niemand konnte so schön Cha-Cha-Cha tanzen wie er. Jeden Freitag nach dem Kurs warteten wir zusammen auf den letzten Bus und redeten über die Schule und was in der aktuellen Bravo drinstand. Ich liebte diese dreizehn Minuten zwischen Kursende und Bus. So ging das wochenlang, und irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und fragte Daniel Koslowski, ob er mit mir gehen wollte. Gut, ab hier kann man die Erinnerungsfäden dann getrost kappen, denn Daniel Koslowski wollte nicht mit mir gehen, sondern mit Rotzglocken-Linda, weil er gecheckt hatte, wie cool uncool sie eigentlich war. Heute sind sie verheiratet und haben einen gemeinsamen Hund. Der hat angeblich nur ein Ei. Aber das ist egal, denn bevor er mir gesagt hat, dass er in Linda verknallt sei, hat es sich echt gut angefühlt. Und diese vielen Wochen, in denen ich abends mein Kopfkissen zu einer Wurst rollte und es abknutschte mit der Vorstellung, es wäre Daniel Koslowski, als ich in meinen Träumen mit ihm verheiratet war und einen Hund hatte, wiegen schwerer als die paar Sekunden, in denen er kurzfristig mein Leben zerstörte. In meinen Träumen hatte der Hund übrigens beide Eier.
Es piept wieder.
»Filmriss. Kann mich an nichts erinnern.«
Noch ein Piep.
Diesmal ist es Franzi. »Können wir uns vor der Arbeit im Café an der Ecke treffen? So in einer Stunde?«
»Iiiiih!«, brülle ich, als ich ins Café komme. Franzi weiß, worauf ich hinauswill, und zieht ihre Mütze tief ins Gesicht.
»Hihihihi …«
»Pst! Spinnst du?«, zischt sie. »Mein Kopf tut so weh.«
»Erzähl! Erzähl! Erzähl!«
Sie stemmt ihre Fäuste unters Kinn und stöhnt. »Es war schrecklich. Kaum waren wir bei mir, da hat er seine Hosen runter gezogen und … ich bin einfach was anderes gewöhnt.« Zwei dicke Schokoeier und mindestens zwanzig Zentimeter, wie wir alle der aktuellen Tagespresse entnehmen können, direkt neben der Meldung über Lenes Schwangerschaft.
»Und dann hat er keinen hochgekriegt! Aber es kommt noch doller …«
»Warte!«, sage ich und bestelle mir schnell ein Glas Prosecco. Die Geschichte ist so geil, die will gefeiert werden. Und überhaupt: Endlich geht es wieder um die wirklich wichtigen Dinge, also hoch den Pott!
»Bist du eklig, Puppe! Wie kannst du nach dieser Nacht einfach so weitersaufen?« Glas ansetzen, Flüssigkeit mit dem Mund aufnehmen, schlucken. Ganz einfach. Ich mache es ihr mal schnell vor und bin dann bereit, mich weiter amüsieren zu lassen.
»Als nichts zu machen war, und du weißt ja, dass ich nicht blasen kann, weil ich davon Würgereiz kriege, wollte er mich … Du weißt schon …«
»Lecken?«
»Pst!«
»Entschuldigung«, flüstere ich. Dass alle neuerdings so auf dieser Niveau-Geschichte rumreiten müssen … »Oral befriedigen?«, frage ich stattdessen.
»Wi-der-lich! Stell dir mal vor, der küsst dich danach, dann schmecken die Küsse nach …«
»Vagina«, nicke ich.
»Ich mach ja auch mal Pipi da raus. Überleg doch mal, die ganzen Bakterien! Vielleicht sogar E. coli, ganz toll. Und am Ende sterbe ich, nur, weil der keinen hochgekriegt hat, oder wie?«
»Nur, weil er keine Erektion hatte«, betone ich. Niveau ist das Einzige, womit ich noch auftrumpfen kann, denn ansonsten bin ich total gelähmt vor Faszination. Wäre ich ein bisschen mehr wie Franzi, hätte ich mir in den letzten Monaten wahrscheinlich Einiges erspart.
»Ich esse grundsätzlich nichts, was aus meinem Körper kommt.«
Ich komme aus dem Staunen nicht heraus. »Nicht mal Popel?«
Franzi zögert.
»Wenn keiner kuckt?«, versuche ich es, aber das ist ein lahmer Versuch, denn Franzi hat so etwas natürlich nicht nötig. Sie schafft es, Christian höflich darum zu bitten, seine Unterhose wieder anzuziehen, und bezieht ihm die Couch, damit er seinen Rausch ausschlafen kann, während sie alleine in ihrem Bett liegt, ohne
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