Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Banalverkehr - Roman

Banalverkehr - Roman

Titel: Banalverkehr - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
es zur Herstellung der weltbesten Bologna – ja, Bologna , nicht Bolognese – braucht. Keine Ahnung, warum es neuerdings Bologna heißt, denn nachdem Hackfleisch in unserem Korb landet, gehe ich davon aus, dass wir im Grunde auch von einer Bolognese sprechen könnten. Aber ich frage nicht nach, ich muss mich schonen.
    »Hier gibt’s keine Schlüpfer«, stelle ich vor dem Süßigkeitenregal fest. Das hat an dieser Stelle keinen tieferen Sinn, es passiert einfach, wie heute wohl alles einfach passiert.
    »Wir gucken mal in Stevens Schrank«, sagt Itsy und packt Gummiwürmer auf die Packung mit dem Hackfleisch in den Korb. »Der hat bestimmt ein paar Boxershorts, die wir uns leihen können.«
    »Wer ist Steven?«
    »Na, der Fußballer natürlich.« Natürlich . Für Itsy ist das alles hier ganz natürlich. Schulterzucken, lächeln, weitermachen.
    Genauso steht sie kurze Zeit später in der Küche und weist mich zurecht, weil ich nicht wusste, dass man Zwiebeln für eine Bologna immer in Rechtecke und nicht in Würfel schneiden muss. Ja, Itsy kann kochen. Abgesehen davon, dass die Soße sich unten in den Topf ätzt – wir beschließen, uns das Schrubben zu sparen und ihn gleich nach dem Essen in den Müll zu werfen –, kann sie kochen. Lecker sogar und ganz ohne Tüte.
    Mit der fertigen Bologna auf den Nudeln sitzen wir nun vor dem Kamin, der sich auch nach halbstündigen Bemühungen nicht entfachen lässt (was im Übrigen daran liegen könnte, dass ich vorhin, als Itsy nicht geguckt hat, auf die Holzscheite gekotzt habe). Wir essen und stellen uns vor, wie es wäre, vor einem brennenden Kamin zu sitzen. In diesem Moment macht es mir nicht mal etwas aus, dass ich hier sein muss und nicht in Hamburg von betrunkenen Onkeln mit Wein attackiert werden kann.
    »Danke, Itsy.«
    Sie fragt, wofür, aber ich lächle nur und schaue für eine Weile ins Feuer.
    »Vergiss den Typen, Puppe«, sagt sie wie aus dem Nichts. »Vergiss alle anderen, es geht nur um dich. Carpe diem. Oder stirb.« Ich bin überrascht. Keinen Ton habe ich von Edo erzählt und überhaupt. Ich meine, wir haben es hier mit Itsy zu tun. Mit! Itsy!
    »Guck nicht so. Wir glauben immer, wir wüssten, wer uns gegenübersitzt, aber Fassaden sind ja dazu gemacht, um zu täuschen, das wissen wir doch beide am besten.«
    Ich starre sie an. Es ist, als hätte sie mich ertappt, mich tatsächlich erkannt und irgendwie noch viel mehr. Plötzlich kommt mir ihre Stimme tiefer vor, fast hallig und sie sieht auch so anders aus, so als hätte man einen Scheinwerfer auf sie gerichtet, beinahe blendend, und gleichzeitig saugt das Licht sämtliche Farbe und Kontur aus ihrem Gesicht. Ich schätze, meine Wahrnehmung setzt auf derlei Stilmittel, um mir bewusst zu machen, dass es in diesem Augenblick um irgendetwas geht.
    Ich könnte jetzt nachfragen.
    Nachfragen und erfahren, dass Itsy vielleicht mehr ist, als das wunderschöne, taube Nichts, nach dem sie aussieht. Dass sie eine Geschichte hat, vielleicht sogar eine dramatische, eine, in der es um Schmerzen geht und die uns dadurch irgendwie gleich macht. Es könnte sogar eine schlimmere Geschichte sein als meine, und ich bin mal wieder kreativ und stelle mir vor, wie sie mit gerade mal achtzehn einen italienischen Geschäftsmann heiratet, ganz opulent in weißem Tüll von Dior … Und nach der Hochzeit zeigt er sein wahres Gesicht und verprügelt sie, wenn er nach Feierabend nach Hause kommt und sie keine Bologna gekocht hat. Dass es drei gebrochene Rippen und genauso viele Jahre braucht, um den Mut zu fassen, sich von ihm zu trennen, und sie seitdem irgendwie sozial gestört ist oder so. Niemandem mehr trauen kann. Und an sich selbst und ihrer Vergangenheit fast zerbricht, und die einzige Lösung ist, die alte Itsy sterben zu lassen und eine neue zu erschaffen, in deren Welt es nur um sie selbst geht. Um sie und bunte Farben, Luftschlösser, ewig gute Laune und ein paar einfältige Ideen. Nichts von Substanz und somit nichts Angreifbares. Dass es sich seither gut anfühlt, wenn es wehtut, weil Schmerzen Schmerzen betäuben und Sex, Drogen, Alkohol und Geld der Psyche das Maul stopfen. Und dass sie eigentlich genauso auf der Suche ist nach jemandem wie ich. Wir könnten einander tatsächlich erkennen, wenn ich jetzt nachfragen würde.
    Aber ich frage nicht nach. Wahrscheinlich, weil es in meiner Welt auch nur mich gibt und Itsy von Anfang an nur zur Ablenkung eingeplant war. Ich glaube, ich bin noch nicht so weit, nach Lene

Weitere Kostenlose Bücher