Banalverkehr - Roman
als eine Regenwolke direkt über mir aufreißt und dafür sorgt, dass mir neben dem ganzen hübschen Make-up auch die Farbe meiner neuen Hochzeitssträhnchen übers Gesicht läuft. Ich glaube, ich bin gerade die ärmste Seele auf dieser Welt, die es ja eigentlich seit gestern Abend gar nicht mehr geben sollte. Dann sehe ich einen Flieger, und in diesem Augenblick ist es Edos, und ich schaue ihm hinterher – Schiffbrüchige in meinem Meer aus Farben und dicken Krokodilstränen – und höre immer wieder dieses Wort in meinem Kopf. Affäre … Wir haben eine Affäre . Einen Schwebezustand . Wie dumm muss man sein, um so etwas mit der großen Liebe zu verwechseln? Wahrscheinlich unendlich dumm. Ich bin unendlich dumm, und es ist nicht die Welt, die still steht, es ist mein Herz, mein Leben. Und warum, warum zum Teufel, ist es überhaupt noch Sommer, wenn der Sommer meines Lebens seit gestern zu Ende ist? Schickt mir den Herbst, los! Ich will es grau und kalt und ungemütlich, mit viel Regen, damit jetzt doch noch eine Wolke über mir birst. Dies ist definitiv das Ende, und es ist grausam.
»Püppileinlinchen! What’s up in the pub?«
Nach ungefähr sechs oder sieben Prossecco Aperol an einer Airportbar, die wahrscheinlich so viel gekostet haben, dass Hanuta sich in Indien einen Palast hätte bauen können, habe ich anscheinend doch noch irgendwie geschafft, Itsy meinen momentanen Aufenthaltsort zu übermitteln, denn kurz darauf findet sie mich an dieser Theke, auf der mein Kopf liegt, das linke Ohr auf das klebrige Holz gepresst, als würde sie mir etwas erzählen, diese Theke, ein Geheimnis vielleicht, und ich müsste lauschen, lauschen, lauschen. Auf der Mauer, auf der Lauer liegt die Puppe Adenauer , dichte ich spontan, aber die Kacktheke versteht nichts von Humor und bleibt stumm. Ein guter Gastgeber sollte immer über die Witze seiner Gäste lachen. Das macht man so. Punkt. Aus. Basta.
»Auf der Mauer, auf der Lauer …!«, schreie ich und trommele, nachdem wieder keine Reaktion kommt, mit meinen Fäusten auf die Theke ein, bis mich die Kraft verlässt.
»Ach, du großer Gott«, sagt Itsy, als sie meinen Kopf von der Theke hebt und versucht, mich als Gesamtes wieder einigermaßen auf meinem Barhocker gerade zu rücken. Sie trägt ein langes, schulterfreies Top von Ed Hardy, das kann ich anfangs noch feststellen, während ich kurze Zeit später davon überzeugt bin, Ed Hardy persönlich säße als hässlicher, pinkfarbener Totenschädel, umrahmt von Itsys langer, blonder Mähne, neben mir auf dem Hocker, und ich denke: Mensch, der Ed Hardy, der hat grad dem Hanuta seinen palasteigenen Helikopterlandeplatz versoffen.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ed Hardy erzähle, warum ich mich an diesem Freitagmorgen auf Kosten eines kleinen Inders volllaufen lasse, und auch nicht, ob Ed Hardy überhaupt nachfragt. Zumindest trinkt er mit. Also sie. Also dieses benachbarte Geschöpf mit dem grellen Schädel und den langen, blonden Haaren. Immer wieder öffne ich den Mund und will von Edo erzählen und davon, dass er nicht der Mann meines Lebens sein muss, sondern sich mit einer Affäre begnügen würde, aber bevor ich das formulieren kann, setze ich schnell mein Glas an und spüle die Gedanken an ihn und das damit verbundene Ende der Welt mit großen Schlucken hinunter. Denn Ed Hardy würde und müsste mir sonst raten, Edo zu vergessen, weil er es wohl nicht so ernst mit mir meint wie ich mit ihm. Ed Hardy müsste sagen, dass derjenige, der mehr liebt, am Schluss immer auf der Strecke bliebe. Würde ich das wollen? Würde ich das wirklich wollen? Würde irgendjemand so etwas wollen? Freiwillig? Ich stecke fest. In einer metertiefen Scheiße.
»Auf dich, Ed Hardy!«, rufe ich, bevor ich den teuren Spritz quer über die spaßbefreite Theke pruste.
»Christian Audigier«, berichtigt Ed Hardy. »Dir geht’s scheiße«, stellt er dann fest, und ich proste ihm nochmal zu. Ich erinnere mich daran, wie Lene und ich irgendwelche alltäglichen Dramen zu etwas stilisieren konnten, was wir später die geilsten Abende überhaupt nennen würden. Wie damals, als ein Typ, den sie abschleppen wollte, ihr einen Korb gegeben hat, Lene in eine tiefe Sinnkrise gestürzt ist und deswegen nachts vom Dach eines Einkaufszentrums springen wollte. Das war so schön! Wir saßen auf unseren Jacken, ganz nah am Abgrund, und tranken lieblichen Weißwein aus einem Zweiliter-Tetrapack von der Tankstelle. Erst heulte nur Lene, dann stieg ich aus
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