Banalverkehr - Roman
Kapitel meiner Beziehung zu Edo eingeleitet. Jetzt muss ich warten. Zwei Minuten soll es dauern.
01:50: Edo hat die letzte Nacht nicht bei mir verbracht. Er musste Wäsche waschen.
01:30: Ich warte.
01:10: Er hat mir so sehr gefehlt.
01:00: Ich warte.
00:45: Der Teststreifen beginnt sich zu verfärben.
00:44: Ein Strich ist schon sichtbar.
00:35: Ich warte.
00:30: Edo und ich sind füreinander bestimmt.
00:25: Ich warte.
00:15: Ich liebe ihn.
00:10: Seit wann sind zwei kleine, blöde Minuten eigentlich so hartnäckig?
00:05: Durchatmen.
00:00: Auf die Minute – Respekt!
»Was?«
»Nochmal: was?«
»Hab ich das jetzt richtig verstanden?«
»Wie konnte das passieren?«
»Hast du die Pille etwa vergessen?«
»Bist du sicher?«
»Geht das überhaupt so kurz nach einer Fehlgeburt?«
»Wie stellst du dir das denn vor?«
Edo stellt viele Fragen, nur eine nicht: Wie geht es dir damit, Puppe? Immerhin ist es gerade mal fünf Monate und dreiundzwanzig Tage her, dass ich das Ultraschallbild von Erbse mit bloßen Händen unter dem Fliederstrauch im Garten vergraben habe. Es ist gut, dass er nicht fragt, denn ich hätte ihm nur die halbe Wahrheit sagen können. Die Hälfte, in der die Erinnerung wehtut, in der es mir Angst macht, wieder eine von vieren zu sein. Die andere Hälfte, in der meine unfassbare Unverfrorenheit aus dem größten Schmerz resultiert, dem Gedanken daran, dass er mich je verlassen könnte, hätte ich nicht sagen dürfen, denn mit seinem Samen habe ich ihm die Freiheit geraubt, und noch kann er sich vielleicht nicht richtig vorstellen, dass es für uns die richtige Entscheidung war. Sein musste.
»Scheiße.«
Aber Edo kann sich an vieles gewöhnen. An mich hat er sich immerhin auch gewöhnt.
»Jetzt hör halt auf zu weinen.«
Sympathie! Sympathie! Wir! Heulen! Für! Sympathie!
»Ist ja gut, das kriegen wir hin.«
Strike!
»Ich liebe dich auch.«
Endlich!!!!!! Dieser kleine, lang erhoffte Satz ist nicht nur das Pflaster, sondern ein ganzer Verbandskasten. Dafür war es das alles wert. Ganz sicher. Ganz. Sicher. Oder?
Zwischenspiel: Montag, 15.57 Uhr – Der Stuhlkreis, Teil 3
»Ab da geht alles schief. Diese riesige finanzielle Belastung, wir brauchen eine Wohnung, neue Möbel, Babysachen. Und das kostet. Er wird immer genervter und macht Überstunden ohne Ende. Wenn er nicht arbeitet, ist er trotzdem nicht zu Hause. Das Baby schreit. Keine Nacht mehr durchschlafen. Meine Nerven liegen blank. Er findet seine Ablenkung darin, dass er mit seinen Kumpels um die Häuser zieht. Ich dagegen sitze fest. Zu Hause, mit dem Kind. Ich habe niemanden. Niemand ist für mich da.« Sie beginnt zu schniefen, und der gesamte Stuhlkreis kramt synchron nach Tempos, aber da hat die Chefin, gewöhnt an und bestens vorbereitet auf solche Situationen, ihr bereits die Kleenexbox gereicht.
Kapitel 10 – Malepartus
Es ist ein hellblau verputzter Einfamilien-Eigenheimzuschuss-Wüstenrot-Fuchsbau, und die Fassade verrät nichts über das, was innen vor sich geht. Die vielen Glasfronten mögen Ehrlichkeit versprechen, aber sie reflektieren viel mehr das Sonnenlicht als die Bewohner.
Edo, ich und mein Bauch sind eine gute Stunde geflogen und nochmal eine halbe gefahren, um nun hier zu stehen, in einer Diele, die auf den ersten Blick verrät, dass hier nicht geputzt wird.
Hier wird über die Böden und Spiegel geleckt .
Und auch Edos Eltern sehen aus, als ob sie sich gegenseitig ablecken. Glatt, gestylt, frisiert und irgendwie unwirklich – wie aus demselben Katalog, in dem man auch dieses Haus und dessen Einrichtung bestellen kann. Seine Mutter hat eine Figur, die man in Frauenzeitschriften gemeinhin als eine »Birne« bezeichnet, oben schmal, unten kräftiger. Diese Birne ist in von Designerköpfen entworfenes Ganzkörperschwarz verpackt und mit allerlei glitzerndem Schmuck verziert. Sein Vater ist ungefähr einen halben Meter größer als sie und trägt ein rosa Hemd mit aufgestelltem Kragen, eine schmale Jeans und große Schuhe, die aussehen wie braune Krokodilrücken. Sie heißen Sigrid und Roy, und ich mache einen dümmlichen Witz über einen weißen Tiger, den ich als potenzielles Haustier vermute. Eigentlich ist es danach schon vorbei. Sie sehen einander an, lächeln verschämt und sind dankbar dafür, dass Edos Bruder eine bessere Schwiegertochter mit nach Hause gebracht hat. Eine ohne weißen Tiger und schweißnasse Hände. Und vor allem ohne dicken Bauch.
Erst letzte Woche, nachdem der
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