Banalverkehr - Roman
Billigflug gebucht war, hatte Edo ihnen von mir erzählt, von mir und dem dicken Bauch. Und ich möchte wetten, sie hatten bis vor fünf Minuten gehofft, es wäre ein mieser Aprilscherz gewesen. War es aber nicht. Ich bin hier, und ich bin im sechsten Monat schwanger. Und noch dazu irgendwie fehl am Platz. Auf mich hat niemand gewartet. Das spüre ich, und es tut ein bisschen weh, nein, eigentlich sogar ziemlich, zumal ich bei meinen Eltern gleich eine Woche nach dem positiven Pinkeltest eine große Edo-Präsentation veranstaltet hatte. Nicht mal eine halbe Stunde hatte ich als Werbeprofi gebraucht, bis klar war, dass man Edo eigentlich eine überlebensgroße Bronzestatue auf dem Marktplatz meiner Heimatstadt errichten müsste.
Für mich hat in Hamburg keiner eine Statue in Bronze gegossen, aber dafür kriege ich Kuchen. Liebevoll dekoriert auf einer großen Kaffeetafel im Wintergarten steht eine Platte süßer Teigvariationen, die klarmacht, dass Sigrid und Roy mit allem gerechnet haben. Jede gesellschaftliche Unterart wird durch ein Gebäckteilchen auf dieser silbernen Platte vertreten. Von filigranen Petits Fours bis hin zum gemeinen Krapfen. Dass hinter dieser Aufwartung Psychologie stecken könnte oder sogar muss, wird mir erst klar, als der Krapfen schon auf meinem Teller liegt. Sofort schäme ich mich, aber ein winziger Hoffnungsschimmer glimmt auf zwischen Magen und Fruchtblase, als Roy sich auch einen Krapfen auf den Teller hebt, und er verglüht, nachdem ich meinen mit dicken Fingern in Richtung Mund schiebe und mit breitem Maul herzhaft abbeiße, während Roy seinen mit der Kuchengabel seziert. Ich! Habe! Noch! Nie! Nie! Nie! In! Meinem! Leben! Jemanden! Gesehen! Der! Krapfen! Mit! Einer! Gabel! Isst! Ein eingespeichelter Teigbatzen verharrt in Schockstarre in meinem Mund und lässt sich nicht runterwürgen beim Anblick von Roy und den aufgespießten Krapfenfetzen. Ich zweifele an mir und an meinen Manieren und vor allem an meinem Verstand. Nur weil man sonst immer Sushi isst, heißt das doch nicht, dass man sich nicht ab und zu mal einen Krapfen gönnen darf , höre ich in meinem Kopf. Ich ärgere mich, dass ich mir den Scheißkrapfen genommen habe. Ich hätte wissen müssen, dass er mir wieder mal das Genick bricht. Dabei war ich doch hergekommen einzig mit der Mission, meine Schwiegereltern zu verzaubern. Ich versuche also wenigstens hübsch auszusehen und irgendwie hinreißend zu gucken, während ich meinen Krapfen fresse. Aber wie guckt man hinreißend, während man einen kindskopfgroßen Krapfen frisst???
Ich hasse mich.
Noch mehr, weil ich Sigrid und Roy schon nach fünf Minuten einfach nur Scheiße finde. Ist das zu fassen? Dabei müssten sie mir doch eigentlich leidtun, weil wir sie mit der ganzen Situation so überfahren, aber ich kann einfach kein Gefühl der Sympathie entwickeln. Ich strenge mich wirklich an! Ich drücke und presse, aber außer einem kleinem Pups kommt nichts aus mir raus. Seitdem ich schwanger bin, habe ich nämlich leichte Blähungen, aber darum geht es jetzt nicht. Sondern darum, dass ich glaube, dass es mit mir und Edos Eltern nichts wird. Ihre bloße Anwesenheit lässt mich um fünf Zentimeter schrumpfen. Ich fühle mich auf einen Schlag hässlich, klein und ungehobelt. Ich bin mir sicher, sie durchschauen mich, sehen, dass hinter meinem Make-up eine abscheuliche Fratze sitzt.
Ich hasse mich wirklich.
Und noch viel, viel mehr, weil ich gerade an der Kaffeetafel gefurzt habe, wo ich mir eigentlich sicher bin, dass das nicht der richtige Weg ist, ein freundschaftliches Verhältnis aufzubauen.
Ich hasse. Hasse. Hasse mich. Ich hasse alles.
Was ich bin. Wie ich bin. Wie ich aussehe. Und besonders hasse ich Frauen, die mit ihrer Schwangerschaft immer schöner werden. Die vor dem Spiegel stehen und sich mit ihrem Bäuchlein so zauberhaft fühlen, dass sie sich am liebsten spontan einen wichsen würden, hätten sie die nötigen Utensilien zwischen den Beinen. Ich dagegen werde von Woche zu Woche unansehnlicher. In meinem Gesicht sprießen Pickel wie kleine Berge mit eitrigen Gipfeln. Meine Beine, voller Wasser, sind dick wie Baumstämme, und Gräben und Dellen ziehen sich von den Oberschenkeln bis zu den Knien. Den gleichen Bauch wie vorne raus habe ich noch einmal dort sitzen, wo einst ein schmaler, kleiner Hintern zu finden war. Ich sehe aus wie ein Panzer und weiß schon nicht mehr, ob ich nur schwanger bin oder schwanger und fett. Also schwanger bin ich auf jeden Fall,
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