Banalverkehr - Roman
soviel steht fest. Sogar mit Vierlingen. Obwohl Dr. Engels ja darauf besteht, dass nur ein Baby auf dem Ultraschall zu sehen ist. Aber ich bin ein Panzer! Und da sitzt nie nur einer drin. Ich habe das Gefühl, mich immer mehr zu verlieren und treibe seit einem halben Jahr einfach nur so vor mich hin, ohne Halt und Reflexion. Von Lene habe ich seit der Mitteilung im September nichts mehr gehört (das ist sieben Scheißmonate her!) und weiß also nicht einmal, ob die Eierwärmer gut bei Charlene angekommen sind.
»Dir schmeckt’s?«, fragt Sigrid, und ich nicke, unfähig zu sprechen, die Backentaschen immer noch voll wie ein Hamster, dem man gerade eine Diät angedroht hat.
»Schön«, sagt Roy. Er kann sprechen. Trotz Krapfen. Weil er weiß, wie man den standesgemäß isst. »Schön, schön«, sagt er nochmal, und überhaupt scheint dies das einzige zu sein, was Roy sagt. Den Rest übernimmt Sigrid. Sie ist der General, alle anderen sind Gefolge. Inklusive Edo. Er spricht kaum, sitzt irgendwie leblos neben mir und vermeidet es, mich anzuschauen. Wahrscheinlich schämt er sich für das, was ich gerade mit dem Krapfen gemacht habe. Andererseits hätte er mir vorher ruhig mal sagen können, dass seine Eltern hier so dermaßen auf Teig-Etikette machen. Es ist, als wäre ich eine Fremde. Keine Präsentation. Kein Blickkontakt. Kein Wort. Ich fühle mich gerade ziemlich alleine gelassen.
»Viele Frauen begehen den Fehler, dass sie sich in der Schwangerschaft überessen, weil sie denken, es wäre egal. Aber alles, was du jetzt zusätzlich isst, bleibt nach der Geburt an dir kleben«, sagt Sigrid, und Roy nickt. Ich warte auf das »schön, schön«, aber dicke Frauen findet er wahrscheinlich nicht »schön, schön«, und daher belässt er es bei einem zustimmenden Nicken.
»Na, wenn das so ist, geh ich lieber mal gleich mal kotzen«, sage ich und zucke mit den Schultern. Ich hatte zwar keine Attacke mehr, seitdem ich weiß, dass ich schwanger bin, aber ich schätze, mit Kotzen ist es ähnlich wie mit Fahrradfahren. Das verlernt man nicht. Für einen Moment ist es still, wahnsinnig still, und die durch den Raum wehenden Strohballen und die zirpenden Grillen sind dabei bestimmt nur ein paar atmosphärische Requisiten, die mein Kopf dazu inszeniert, aber auch ohne bliebe diese fast gespenstische Stille.
»War ein Scherz«, löse ich auf, und das war es höchstwahrscheinlich auch. Kotzen ist immerhin etwas sehr Intimes. Roy hält es für angebracht, die peinliche Situation zu überkichern, doch ein strafender Blick von Sigrid holt ihn zurück in die Stille. Ich grinse. Sie mögen mich nicht, und jetzt haben sie einen Grund: Ich fresse wie ein Schwein und mache Witze über Bulimie.
»Ich geh mal aufs Klo«, sagt Edo schließlich und steht vom Tisch auf. Er sollte bei mir bleiben und seinen bescheuerten Eltern sagen, dass ich gertenschlank bin. Eigentlich. Ganz tief drinnen. Unter meiner temporären Fettschicht. Und dass er mich auch lieben würde, wenn ich nach der Schwangerschaft dick bliebe. Aber Edo verzieht sich, und ich hasse ihn dafür. Der sitzt jetzt auf der Brille und hat seine Ruhe. Und ich? Der Krapfen ist weg. Sie starren, und es ist immer noch still. Ich überlege, ob ich noch ein Stück Erdbeerkuchen hinterherstopfen könnte. Um nicht reden zu müssen. Aber danach müsste ich wahrscheinlich wirklich kotzen, also lasse ich es lieber.
»Wie lange seid ihr jetzt zusammen?«, fragt Sigrid.
»Seit ungefähr neun Monaten«, antworte ich, und Sigrid lacht, aber es hört sich nicht fröhlich, freundlich oder in irgendeiner Art positiv an, sondern geringschätzig. »Das verstehe ich natürlich, dass man frisch verliebt gleich meint, man müsse Nägel mit Köpfen machen.« Ich nicke nur und kann sie nicht leiden. Will sie mir doch glatt unterstellen, ich hätte ihrem Sohn ein Kind angehängt! Als ob ich so was nötig hätte! Also, wie auch immer. Ich hätte doch den Erdbeerkuchen essen sollen.
»Mein Pipi riecht nach Popcorn«, sagt Edo, als er zurückkommt. Keine Ahnung, was das soll. Vielleicht ein letzter, sinnloser Rest von Rebellion. Er hatte bestimmt eine Scheißkindheit. Mit einer Mutter wie Sigrid muss man einfach eine Scheißkindheit haben.
Eed-Hu-Hard!«, weist sie ihn zurecht. Ich wusste bis jetzt gar nicht, dass Edo nicht wirklich Edo heißt. Aber es passt. Hier ist er nicht mehr der Edo, den ich kenne, sondern Mutters Sohn. Und viel schlimmer noch: ein Muttersöhnchen. Ein Muttersöhnchen namens
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