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Banalverkehr - Roman

Banalverkehr - Roman

Titel: Banalverkehr - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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ist ihnen egal. Und außerdem ist es unverschämt, dass Roy im Gästebad seinen abendlichen Schiss macht, bevor ich reingehe, um mir die Zähne zu putzen. Und ich weiß nicht, warum du dafür gesorgt hast, dass ich meine Zahnpasta vergesse!? Jetzt bin ich nicht nur ein ungehobelter, fetter Zwerg, sondern werde auch noch aus dem Mund stinken wie Roys Abendschiss! Das verstehe ich nicht, lieber Gott … Du weißt doch, dass ich mich nicht traue, Sigrid zu sagen, dass ich keine Zahnpasta mit habe. Sie würde mich für noch dümmer halten. Ich muss also doch ins VIP -Bad, wo ich ja eigentlich nicht reindarf, um mir Zahnpasta zu stehlen, was ja auch noch eine Sünde ist. Tut mir leid. Und auch, dass ich Sigrids Unterwäsche angeguckt habe, die auf dem Wäschekorb lag. Wieso lässt du zu, dass sie Tangas trägt? Jetzt kriege ich das Bild nicht mehr aus dem Kopf. Sigrid im lila Spitzentanga. Himmel, Arsch! O, verzeih, ach, Mensch, also Gott, es tut mir alles so leid, wirklich. Dass ich so ein schlechter Mensch bin und dass ich Edo unglücklich mache. Ich wollte doch nur für immer mit ihm zusammen sein. Bitte, lieber Gott, vergib mir und mach mich ein bisschen besser und auch, dass Edo mich wieder lieber hat. Und dass seine Eltern mich mögen und wir alle für immer und in Ewigkeit glücklich sind. Das wäre super.
    Amen.
    »Willst du nicht aufstehen?«
    »Ich kann nicht. Mir ist schlecht.«
    »Aber wir wollen doch in die Kirche.«
    »Ich kann nicht. Mir ist schlecht.«
    »Dann komm wenigstens mit runter und sag meinen Eltern, dass du nicht mitkommen kannst.«
    »Ich kann nicht. Mir ist schlecht.«
    »Die paar Treppenstufen wirst du schon schaffen.«
    »Ich kann nicht. Mir ist schlecht.«
    Eine halbe Stunde später höre ich, wie die Haustür ins Schloss fällt, und stehe auf. Weil ich kann. Weil mir natürlich nicht schlecht ist. Weil ich einfach nicht mit in den Gottesdienst will. Das ist das einzig Positive am Schwangersein: Man hat immer eine Ausrede und niemand würde einer Schwangeren unterstellen, dass ihr nicht schlecht wäre. Nicht mal Sigrid käme auf diese Idee, denn das wäre bestimmt total unchristlich, und wegen so einer Lappalie sollte man seinen hart erbeteten Platz direkt an Gottes Rockzipfel-Hosenbein nicht aufs Spiel setzen. Dachte sie sich wohl auch und hat, bevor sie das Haus verließ, noch nach oben gerufen, dass sie für mich und das Baby mitbeten würde. Die alte Strebersau.
    Nun streune ich durch das Kataloghaus und jedes einzelne Zimmer langweilt mich. Es ist sogar noch schlimmer als das englische Filmset mit den geklonten Schlafzimmern und deren ewig gleichen Baumwollrosen. Dort hätte man wenigstens als Axtmörder noch Spaß haben können, aber hier, hier ist alles so perfekt, so unantastbar. Ich erinnere mich, wie ich mit ungefähr acht Jahren mit meinen Eltern in einem Möbelhaus war und mich dabei so gelangweilt habe, dass ich in die Schlafzimmerabteilung gegangen bin und neben ein hässliches, geblümtes Polsterbett gepinkelt habe. Der Gedanke, dass ich jetzt neben Sigrids Bett pinkeln könnte, erfüllt mich mit unbändiger Freude. Ich stehe schon auf dem cremefarbenen, dick flauschigen Vorleger, als ich an der Wand ein goldgerahmtes Bibelzitat entdecke. »… und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.« Johannes 8,32. Ich kann hier nicht hinpullern, wenn mir ein Bibelzitat dabei zusieht! Das ist, als würde Gott persönlich einem zugucken, und das wäre auf jeden Fall die Wildcard in die Hölle. Nichts mehr mit Recall, gleich am Türsteher vorbei, ab in den Club. Ich starre also auf das Bibelzitat und gehe langsam, rückwärts, ohne den Blick von den Worten zu lassen aus dem Zimmer. Die Wahrheit erkennen. Dabei weiß doch jeder, dass Wahrheit immer subjektiv ist und damit im Grunde nie wahr sein kann.
    Ich gehe zurück in unser Zimmer, lege mich auf das Bett und starre an die Decke. Die Wahrheit ist, dass mein Leben sich scheiße anfühlt. Es liegt eine Anspannung in der Luft, ein fast unmerkliches, aufgeladenes Flirren wie kurz vor einer Explosion. Und ich glaube nicht, dass es darum geht, dass bald ein kleiner Mensch aus meiner Muschi rausexplodieren wird. Es ist etwas anderes. Und es ist komisch. Die Zimmerdecke ist weiß. Wie fast alle Zimmerdecken, die ich kenne.
    Ich weiß noch, wie ich zum ersten Mal stundenlang an die Decke gestarrt habe. Es war auch das erste Mal, dass sich mein Leben scheiße angefühlt hat. Zumindest für länger als nur fünf

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