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Banalverkehr - Roman

Banalverkehr - Roman

Titel: Banalverkehr - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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aus dem kleinen Fenster auf das Meer gräulich weißer Wolkenfäden. Da wird mir klar, dass dies kein Moment für eine Zeitlupe ist.
    Wir sind nicht gezwungen, wir zu sein. Wir können alles sein, was wir wollen, solange der Geist konfus, die Fantasie groß und der ganze Rest eingeschüchtert genug ist, um sich selbst zu verlassen und in eine andere Rolle zu schlüpfen. Ich bin jetzt nicht mehr Puppe, sondern Muschi, das friedliche Wollknäuel. Ich sitze auf der Lehne der Couch und muss mich nicht rechtfertigen. Ich bin einfach nur die Katze und gucke zu. Die arme Puppe, wie sie da sitzt in der Mitte des Sofas, den Kopf hängen lässt, als wäre er nicht an ihrem Hals befestigt, sondern an einem dünnen Faden, der jede Sekunde reißen kann. Edo wandert im Zimmer auf und ab, seine Hände fliegen herum, seine Stimme ist laut, jedes Wort wie ein Paukenschlag, aber eigentlich auch egal, denn das Wichtigste hat er bereits gesagt: »Ich bin nicht glücklich!«
    Puppes Finger kratzen langsam und wie in Trance über den Jeansstoff über ihren Knien. Ich frage mich, warum sie noch nicht angefangen hat zu weinen und versuche ihr in die Augen zu schauen, ob sie sich nicht doch inzwischen mit salzigem Wasser gefüllt haben. Aber weil sie den Kopf so hängenlässt, bleibt es mir verborgen. Ich habe Hunger. Das ist mein einziges Problem. Himmel, Arsch, bin ich froh, dass ich hier nur die Katze bin!
    »Du hast dich ihnen gegenüber einfach nur total danebenbenommen! Was sollen sie denn jetzt von dir denken? Kaum ein Wort hast du gesagt! Und wenn, dann … Also, ich meine, was sollte diese Scheißnummer mit dem Kotzengehen? Wo ist die Frau hin, die ich kennengelernt habe? Was ist mit dir passiert? Und wie soll das weitergehen? Ist es das? Ist das unsere Zukunft? Ich fasse es einfach nicht! Und dann wagst du es auch noch, ständig zu fragen, was los ist? Merkst du noch was?«
    Ich weiß nicht, was die Worte bedeuten, aber ich bin fähig eine Stimmung zu entschlüsseln: ein wirres Gemisch aus Aggression, Angst, Verzweiflung und Reue. Ich schließe die Augen. Doch plötzlich höre ich sie und schrecke hoch, meine Augen wieder weit aufgerissen, denn das muss ich sehen. Es ist überraschend, ich hätte erwartet, dass sie still bleibt. Wie immer. Still und verschämt. Und nur irgendwann am Ende etwas Leises sagt, in der Hoffnung, dass er sich beruhigt und sie wieder liebt.
    »Du fragst mich , was mit mir passiert ist? Was ist mit dir passiert? Warum ist alles, was ich noch von dir bekomme, das Gefühl, dass ich eine Last bin? Geh doch einfach, wenn es so furchtbar mit mir ist! Ich hab dich nie gezwungen, bei mir zu sein! Geh einfach, und lass mich alleine, wie sie mich immer alle alleine lassen!«
    Dann fängt sie an zu weinen, und ich bin beruhigt. Sie ist immer noch die Alte. Aber auch er scheint überrascht zu sein, dass aus seinem Mono- ein Dialog geworden ist. Ich habe beobachtet, wie er sich in den letzten Wochen vom Zuhörer zum Alleinunterhalter entwickelt hat. Wie er Gefallen daran gefunden hat, die Seiten zu wechseln. Wie aus Ratschlägen Zurechtweisungen geworden sind und irgendwann nur noch Vorwürfe übrig waren. Sie würde alles für ihn tun, aus Scham und aus Schuld, aber je mehr sie es versucht, desto mehr stößt er sie von sich weg, bis sie stolpert und auf den Boden fällt, rücklings liegen bleibt und mit den Beinchen zappelt wie ein dicker Käfer.
    »So war es nicht gemeint«, sagt er, und auch das ist überraschend. Sein Ton ist wieder weich und klingt besorgt. Überraschend. Überraschend.
    So überraschend, dass wir wieder Rollen tauschen können. Ich bin wieder ich, die arme, irre Puppe und lasse Muschi wieder Muschi sein, wie sie auf der Lehne sitzt mit gespitzten Ohren und dem Szenario folgt. Sie ist eine gute Katze, und ich kraule ihr zum Dank für den Rollentausch die kleinen, schwarzen Öhrchen. Edo setzt sich neben mich.
    »Aber ich hätte mir natürlich gewünscht, dass du dir ein bisschen mehr Mühe gibst. Immerhin sind es meine Eltern, Puppe. Sie haben dich trotz aller Umstände mit offenen Armen empfangen.« Umstände. Sehr treffend. Am liebsten würde ich ihn fragen, inwiefern seine tollen Eltern sich denn Mühe gegeben haben. Was haben sie getan, außer mir einen Teller Kuchen hinzustellen, um mir danach zu prophezeien, dass ich für immer fett bleiben würde? Ich schnaufe einmal kräftig. Es wäre nicht gut, jetzt weiter zu streiten. Ich werde Sigrid, wenn ich nach der Geburt wieder schlank bin, bei

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