Banalverkehr - Roman
Metzgerei. Und Lene darf nicht rein. Ha! Wär sie mal lieber beim Sushi geblieben, aber nein, es musste ja ein Krapfen sein! Und jetzt erstickt sie daran.
Es dauert genau zwei Minuten.
Das weiß ich, weil ich die ganze Zeit auf die Uhr gestarrt habe, die an der Küchenwand hängt. Zwei Minuten lang wohne ich nach dem Telefonat noch in diesem Gefühl. Zwei Minuten. Und dann ist es weg. Unwiederbringlich. Und wird ersetzt durch eine hartnäckige Fassungslosigkeit, dass eine Freundschaft, die über zehn Jahre dauerte, die ich nicht mal dann wirklich aufgeben konnte, als Lene sie beenden wollte, innerhalb von zwei Minuten durch ein höhnisches Nachtreten vorbei sein kann. Ich bin nicht besser als sie, das wird mir klar, und während ich darüber nachdenke, wie viel Selbstzweck eine Freundschaft verträgt, kommt mir Itsy wieder in den Sinn.
Am nächsten Tag mache ich mich auf den Weg zum Friedhof.
Ich war kein einziges Mal hier, dabei sind schon acht Monate vergangen, seit sie gestorben ist. Irgendwie ist das nicht okay und ich will es wiedergutmachen. Dabei, schätze ich, stehen meine Chancen gut, denn Tote sollen ja nicht so wahnsinnig nachtragend sein. Ähm, nun ja.
Als ich am Friedhof ankomme, fällt mir ein, dass man eigentlich immer irgendwas mitbringen sollte, wenn man zu Besuch kommt. Das gebietet der Anstand. Aber meine Handtasche gibt außer einem Päckchen Tempos, einem Labello und ein paar Streifen altem Kaugummi nichts her. Doch scheinbar geht es vielen anderen Friedhofsbesuchern ähnlich, denn direkt neben das Eingangstor hat man einen Kiosk gestellt. Ein komisches Bild, irgendwie irritierend, aber ich gehe trotzdem rein und sehe mich um.
»Kann ich helfen?«, fragt der verratzte Typ mit einem langen Bart, der hinter dem Tresen steht. Ich hätte ihm eher einen Job als Totengräber zugeteilt, mit einem Vierhundert-Euro-Nebenjob als Teilzeit-Zombie.
»Also, haben Sie vielleicht Blumen?«, frage ich vorsichtig. Nach dem Film über den englischen Axtmörder lief, das könnte ich schwören, einer über einen Friedhofskiosk-Verkäufer, der seine Kundschaft mit einer mächtigen Grabschaufel niederdrischt, die er überraschend hinter dem Tresen hervorzieht, sobald ihn jemand nach Blumen fragt.
»Was hätten wir denn gerne? Stiefmütterchen? Geranien? Nelken? Lilien? Ich hab Einiges da.« Na toll, ein Botaniker. Da wäre mir die Grabschaufel ja fast lieber gewesen. Und ich sollte endlich, endlich damit aufhören, mir irgendwelche Bekanntschaften mit Filmkillern herbeizuwünschen.
»Ich weiß auch nicht. Blumen eben. Also, was nimmt man denn hier sonst so?«
»Na ja, jede Blume hat ihre eigene Bedeutung. Kommt also drauf an, was Sie ausdrücken wollen.«
»Ach so«, nicke ich, und nicke weiter und weiter. Er wartet jetzt auf eine Antwort. Weiter nicken, aber um die Wahrheit zu sagen, habe ich mir darüber noch gar keine Gedanken gemacht. Nicken. Ich wollte einfach ein paar blöde Blumen. Weiter nicken. Für Itsy. Nicken.
»Also?«, fragt er.
»Sie wären für eine Freundin. Sie ist nämlich tot«, sage ich und nicke vorsichtshalber noch einmal.
»Das hab ich mir fast gedacht. Mal sehen …« Er kommt hinter seinem Tresen hervor und geht in die Blumenecke. Die hatte ich beim Reinkommen gar nicht gesehen, weil das riesige Regal mit den Süßigkeiten sie verdeckt. Gibt es tatsächlich Leute, die sich hier mit Wegzehrung für den Trauermarsch eindecken?
»Wie wäre es mit Nelken? Die stehen für Treue. Ist doch ein schönes Symbol für Freundschaft.«
»Okay«, sage ich und denke insgeheim, dass er mir auch einen Kaktus hätte andrehen können. Ich will nur schnell irgendwas, das als Blume durchgeht, und dann nichts wie weg. Er bindet einen kleinen Strauß, kassiert und wünscht mir noch einen schönen Tag. Ich frage mich, ob das auf einem Friedhof okay ist, einen schönen Tag gewünscht zu bekommen. Genießen Sie Ihren Aufenthalt. Beehren Sie uns bald wieder! Ihr Team vom Friedhof West . Ich schüttele schnell den Kopf, um die Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Über Friedhöfe darf man bestimmt keine Witze machen. Nicht mal im Stillen. Das ist jesusmäßig unchristlich-politisch-unkorrekt oder irgendwas in der Art. Aber sicher nicht okay, nein, bestimmt nicht okay. Böse Puppe! Wegen so was will ich nun wirklich nicht in den Club, direkt am Türsteher vorbei, wo es doch sicher genügend andere Gründe gäbe, die mehr Spaß machen würden. Auf Sigrids Bettvorleger pinkeln zum Beispiel. Das
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