Banalverkehr - Roman
Wahnsinn, ich will mich drin aalen, nein, ich will drin wohnen!
»Und wie läuft’s mit … wie heißt er noch gleich?« Ich weiß, ich bin ein böses Mädchen, aber ich! Will! Drin! Wohnen!
»Nicht so toll.«
»Wieso? Was ist denn los?« Wooohnen!
Und sie lässt mich. Sie erzählt von der großen Euphorie, von der großen Liebe, die es entweder mal gab oder die man sich einredet, weil man in diesem Moment bereit dafür sein will. Davon, dass man den anderen gar nicht als ihn selbst wahrnimmt, sondern in seinem Kopf zu dem macht, was man braucht, um seine Vision vom überbordenden Gefühl aufrechtzuerhalten. Ich verstehe kein Wort, aber um ehrlich zu sein, interessiert es mich auch gar nicht. Lene geht es nicht »na ja, geht so« , Lene geht es schlecht, und das hat sie verdient.
»Er hat unser ganzes Geld für Loungemöbel ausgegeben! Loungemöbel! In Orange! Wir haben keinen einzigen normalen Stuhl! Alles, worauf man sitzen kann, sieht aus wie ein ausgehöhltes Ei! In Orange !« Und orangefarbene Sitzeier kosten wohl so viel, dass Lene und ihr Flugzeug-Nebensitzer … »Wie heißt er nochmal?« – »Andy! Wie oft denn noch???« … nun beinahe pleite sind.
»Es ist scheiße, Puppe. Der ganze Haushalt und das Kind bleiben an mir hängen. Sogar am Wochenende, wenn er nicht arbeiten muss. Dann geht er zum Saufen mit seinen Kumpels. Und ich bin immer noch fett. Ich hätte es merken müssen.« Meine Rede, aber nein, wir können uns aus Australien als Souvenir nicht einfach ein blödes Plüschkänguru mitbringen, es muss ja gleich der Mann fürs Leben und eine Schwangerschaft sein. Und alles, was jetzt davon übrig bleibt, ist Verzweiflung. Eine verzweifelte Lene, für die ich allmählich sogar Mitleid entwickele.
Vielleicht sollte ich jetzt aufhören, mich in dem Gefühl häuslich einzurichten.
»Ich glaube, ich hab einen großen Fehler gemacht, Puppe.«
Ach, wenn ich es mir richtig überlege …
»Mir geht’s echt schlecht.«
… will ich vielleicht doch drin wohnen.
»Vielleicht können wir uns ja mal wieder treffen? Um in alten Zeiten zu schwelgen.«
Immerhin ist es eine wunderschöne Wohnung, dieses Gefühl. »Tja, weißt du, Lene, zurzeit hab ich ziemlich viel um die Ohren. Ich muss jetzt auch langsam Schluss machen. Edo kommt gleich vorbei.«
Mit viel Platz.
»Ach so, verstehe. Aber vielleicht hast du ja die Tage nochmal Zeit zum Telefonieren.«
Und einem großen Südbalkon.
»Ja, mal sehen. Unser Kind kommt in zehn Wochen. Weißt ja selber, wie viel man da noch zu erledigen hat.« Na, Lene? Klingelt’s?
»Du bist schwanger???« Kling, Glöckchen …
»Ja, ganz recht. Sehr schwanger sogar. Aber Lene, ich muss jetzt wirklich Schluss machen.« Klingelingeling.
»Ja, das verstehe ich natürlich, aber wenn du vielleicht doch mal.«
»Mach’s gut«, sage ich und lege einfach auf.
Lege. Einfach. Auf.
Und hoffe wirklich, dass ihr das bekannt vorkommt. Was alles passiert ist, nur weil Lene gemütlich werden wollte. Was mir alles passiert ist, nur, weil Lene gemütlich werden wollte. Ja, es darf ihr ruhig schlechtgehen. Immerhin ist im Grunde sie daran schuld, dass ich mich mit Lutz eingelassen habe. Dass Erbse gezeugt worden und wieder kaputtgegangen ist. Dass Itsy gestorben ist. Also, vielleicht wäre Itsy auch so gestorben, aber hätte Lene mich nicht alleingelassen, hätte ich mich nicht ansatzweise mit Itsy anfreunden und ihren Tod miterleben müssen. Und alles, was man nicht erlebt, existiert ja auch nicht. So. Das tut wirklich gut, und ich überlege, ob ich Lene noch ein paar andere Dinge in die Schuhe schieben könnte, aber für meinen traumatischen zwölften Geburtstag, das sehe ich ein, kann sie dann doch nichts. Vielleicht ist auch alles Rotzglocken-Lindas Schuld? Wenn sie wenigstens noch ihr Stück Kuchen gegessen hätte, hätte ich vielleicht nie das Gefühl entwickelt, dass ich es nicht wert sein kann, Freunde zu haben. Oder vielleicht liegt die Wurzel allen Übels im Sommer 1984, als ich mit dem Kopf gegen Omas Schrankwand geknallt bin. Da sind ein paar Windungen durcheinandergeraten und haben sich nie wieder an ihren eigentlichen Platz begeben. Eine jahrzehntelange Hirnmassen-Party. Nein, ich will Oma nicht die Schuld geben. Sie ist jetzt fast achtzig und soll sich auf ihre alten Tage nicht noch mit Schuldgefühlen herumplagen.
Nein, belassen wir es bei Lene, denn somit geschieht es ihr recht, dass ihr Leben nicht mehr länger gemütlich ist, sondern wieder eine ungemütliche
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