Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
Vom Netzwerk:
Ihnen drohte weder Fäulnis noch Verwüstung, höchstens die Banden streunender Hunde, die ihre Wut gerne an den sternengleichen unverwüstlichen Blüten ausließen und auf den kleinen unvermittelten Ödnissen zwischen den Gräbergruppen auf dem Battonyaer Friedhof ein Schlachtfeldchen zerrupfter Trauerpracht anrichteten.
    Doch erst mit dem Schnee breitete sich Trauriges über die Feierlichkeit, denn zu dem bereiteten Friedhofsfest war niemand erschienen.

HATÁR
    Das ungarische Wort für Grenze ist határ . Es ist ein kurzes, scharfes Wort, ein Hackwort, es passt zur Grenze besser als frontiera oder granica oder auch Grenze, Worte, denen im Vergleich zu határ etwas Weiches, Lässiges anhaftet.
    Trotz des scharfen Wortes ist die Vorstellung vom Grenzverlauf abseits der scheinwerferbeleuchteten Grenzübergangsstellen nicht genau. Man erzählt sich gern Geschichten über Begebenheiten in Zusammenhang mit der Grenze wie über ein Fabeltier, das dort draußen im Ungewissen schlummert, und im Laufe der Geschichten vergisst man nicht selten, dass es um die Grenze ging.
    Zum Beispiel jene Wintergeschichte. Ein schneereicher Winter, der Schnee hatte früh eingesetzt und schmolz nicht, Schicht legte sich auf Schicht. Der Zug hielt im Schneegestöber am Bahnhof, wo die Gleise zu Ende waren, ein Mann stieg aus, den man in der Gegend noch nie gesehen hatte. Die Schneeflocken legten sich dem Mann auf Haar und Mantel.
    Er trug einen schweren kastenförmigen Koffer und einen großen Köcher. Man hätte ihn für einen Jäger halten können, der gekommen war, um mit seiner außergewöhnlichen Ausrüstung etwas Außergewöhnliches zu erlegen. Für die Jagd hatte man hier ein Herz, auch wenn man einander gierig auf die Beute zu blicken pflegte und in dem, was der andere erlegt hatte, stets zuerst das sah, was man selbst nun entbehrte und nie mehr erlegen würde.
    In einer Gegend wie dieser, wo weder Hügel noch Schluchten in die Landschaft greifen, wo sich keine Wälder vor den Horizont stellen und keine Seen erstrecken, von einem Meer einmal ganz zu schweigen, wo es keine Flüsse gibt, sondern Wasseradern, die so dicht unter der Erde verlaufen, dass sie in regenreichen Zeiten einfach emporquellen und das Land mit einem ebenmäßigen Wasserspiegel überziehen, in einer solchen Gegend also, wo die Erde im Sommer unter der brennenden Sonne über den ausgetrockneten Adern birst und kleine Schlünde bildet, als schickte sich dort ein Gebirge an, da ist die Grenze etwas Merkwürdiges, weil sie so erscheinungslos ist, irgendwo liegt sie da im Land wie eine sehr lange leblose Schlange und will das Schicksal entscheiden.
    Der Hiesige hat sich an die Eigenarten der hiesigen Wege und Strecken gewöhnt. An die sich im schütteren Gras verlaufenden Gleise, an die zerfurchten Wege mit ihren unsicheren Krümmungen im offenen Gelände. An die Stille, die über diesem seiner Zugehörigkeit nie ganz gewissen Landstrich liegt. An die Beheimatung in einer Weite, in der alles schonungslos ausgebreitet zu liegen scheint, außer jenem, dem die Gegend ihren Namen verdankt.
    Der Fremde nun erkundigte sich bei dem Erstbesten, der seinen Weg kreuzte, nach der Grenze. Man wies ihm die Richtung mit einer ungefähren Gebärde, die durch das Wirbeln der Schneeflocken noch vager erschien. Der bepackte Fremde schritt schwankend den von tiefen, hartgefrorenen Furchen durchzogenen Weg entlang, gefolgt von einem zögernden Trupp Neugieriger, die hofften, Zeuge einer Begebenheit zu werden. Er überquerte ein Feld, dessen Schneedecke von ferne betrachtet unberührt schien. Aus der Nähe war ein Gewirr von krakeligen Vogelspuren und verwischten Pfotenabdrücken verschiedener Tiere erkennbar. Er ruderte sich durch die schutzlose Weite, jenseits des Feldes machte er Halt. Verlief dort ein Weg? Eine Wasserader? Ein Feldrain, dessen büschliges fahles Gras und struppiges Gesträuch kaum aus dem Schnee ragte? Sollte dort die Grenze sein?
    Der Fremde zog ein Stativ aus dem Köcher. Aus dem Koffer nahm er den Fotoapparat, der im nächsten Augenblick schon prächtig auf dem Dreibein thronte. Durch ein Glasfensterchen sah man den Schnee, Bäume, einige schwarze Vögel, eine unruhige und gelegentlich unterbrochene dunkle Linie, die durch den Schnee bis zum Horizont verlief. Das war im Auge des Apparates die Grenze. In dem Glasfenster zeigte sich die von der Grenze durchzogene Welt spiegelverkehrt. Was, mit bloßem Auge betrachtet, hüben war, zeigte sich im Fenster als drüben und

Weitere Kostenlose Bücher