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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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die Tür. Sie hustete schwer und trug eine Häkelkappe auf dem Kopf. Es roch nach Friseur, hinter ihr stand eine junge Frau in einem weißen Kittel. Ihre Hände steckten in farbverschmierten Plastikhandschuhen. Komm herein, komm herein! Sie winkte einladend mit ihren dunkelverfärbten Handschuhen.
    Ich bin sehr krank, erklärte die Frau mit der Häkelkappe, schon die zweite Woche. Sie hustete bekümmert.
    Ich will zu Lajos, sagte ich, ich muss etwas bestellen.
    Die beiden Frauen zeigten enttäuscht in den Hof. Ein mit Drahtzaun eingefasstes Gehege nahm fast die ganze Fläche des Hofs ein. Am Ende des Geheges tobten riesige schwarze Hunde in einem Zwinger. Der Zimmermann Lajos schritt vor dem Zwinger hin und her. Ab und zu stieß er ein Wort aus und machte eine Gebärde, als wollte er den schwarzen Hunden das Wort vor die tosenden Mäuler werfen, daraufhin kuschten und schwiegen sie einen Augenblick lang. Lajos trug einen großen Hut aus rötlichem Fuchspelz. Der Hut saß wie ein großes Rad auf seinem schmalen Schädel, er hatte etwas sehr Prächtiges an sich, und in seinem Schreiten, mit seinen schneidenden Rufen und seinen leeren Würfen sah der Zimmermann vor dem unruhigen Hundegewölk aus wie ein hierher verschlagener Prinz, in Gedanken in ferne Kampfhandlungen verstrickt, die auf die hiesige Gegend nie den fernsten Schatten werfen würden.

TOTENLAND
    Auf dem Samstagsmarkt erschienen die Grabschmuckhändler. Sie kamen mit ihren Autos, die Grabgestecke stapelten sich bis unters Dach und wurden dann, wenn der Grabschmuckhändler einen schönen Stellplatz auserkoren hatte, zur Schau gestellt. Das ganze Auto verschwand darunter und sah aus wie ein frisches Grab.
    Die Grabgestecke waren aus Kunststoff. Auf blaugrünen Scheintannenzweigen saßen leuchtend weiße Scheinschleifen- und verschiedenfarbige Scheinblumen. Um die Gestecke scharten sich Grablichter in vielen Größen und Farben. Noch war es Oktober, doch schon gedachte man der Toten, das waren die Totenfestwochen, Glanz trat in die Augen, der fiebrige Glanz der Grabliebe. Man kaufte Gestecke, Lichter, Grabschmuck wie andernorts bunten Flitter auf Jahrmärkten. Die Friedhöfe erstrahlten wochenlang.
    An einem Samstag traf ich Zoran. Auf dem Gepäckträger seines Fahrrads klemmten Grabgestecke.
    Bald fahre ich nach Amerika, sagte er. Vorher muss ich noch an die Gräber.
    Er begann, seine Toten aufzuzählen. Dabei sprach er ungarisch, als gehöre sich das Reden von Toten nur in dieser Sprache.
    Meine süße Mutter, sagte er.
    Im Ungarischen sind die engen Verwandten immer süß. Meine süße Mutter, mein süßer Vater, auch wenn sie noch am Leben sind. Vielleicht hat es mit den Blutsbanden zu tun. Blut ist süß, hieß es früher, als ich Kind war in Deutschland, Blut ist süß, sagten die anderen Kinder, wenn sie an einer frischen kleinen Wunde leckten oder verschwörerisch ewige Freundschaft besiegeln wollten.
    Die Toten haben es gut in Ungarn, sagte ich zu Zoran.
    Ich dachte an das Budapester Totenreich am Stadtrand, die stets vollen Straßenbahnen dorthin. Im Sommer fuhren die Großmütter mit ihren kleinen Enkeln schon früh hinaus, die Kinder hielten Schaufel und Gießkanne in den Händchen, als ginge es an den Strand. Die Begräbniszüge formierten sich laufend, setzten sich auf ein Zeichen hin in Gang, hinter ihrer Blaskapelle oder ihrem Geistlichen her, in kurzem doch würdigem Abstand zum vorhergehenden Zug. Im heißen Sommer strotzten die Blumenstände von grellroten Gladiolen, das Straßenpflaster dampfte von dem Gießwasser, das die Blumen frisch halten sollte. Einmal sah ich eine kleine Trauergesellschaft, nur Männer in schweren schwarzen Anzügen, mit dicken Ketten und Armbändern aus Gold, verschwitzt tranken sie schweigend Bier in einer von der Gleisschleife umschlungenen Stehkneipe, bevor sie in die stadtwärtige Straßenbahn stiegen, nur der Jüngste, ein blasses Kind, dem die Jackenärmel die Hände verdeckten, bekam Cola.
    An Allerheiligen spazierte ich auf den Gemeindefriedhof in Battonya, im Dämmer schwammen tausende Lichter, zwischen den Gräbern stolperten die letzten Besucher umher und suchten ihr Ziel. Auf einem Grab standen drei nackte kleine weiße Kerzchen, die im Wind erloschen waren.
    Im flachen Herbstlicht umwogt vom dürren Gras, gesäumt von den schon dunkelgemoderten Maisstrohhaufen, sahen die Friedhöfe aus wie ein aufgeputzter Festplatz. Blumen leuchteten, die man ohne Menschenhand auf der ganzen Welt nicht finden würde.

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