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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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umgekehrt. Der Fremde zog ein schwarzes Tuch aus dem Koffer, er warf es über seinen Apparat und schob seinen Kopf darunter. Der Fremde und sein Apparat wurden unter dem schwarzen Tuch zu einem noch nie gesehenen Wesen, einem Apparatmenschen.
    Der Fotograf nahm den Schnee auf, die Spuren der Tiere, die große, sich bis an den Horizont erstreckende Weite, die Grasbüschel, das spröde Gestrüpp. Es war so still, das man das Klicken des Auslösers bis an den Rand des Dorfes hörte.
    Schwarze Vögel sammelten sich auf Bäumen in der Ferne. Sie stießen auf den Schnee hinab und kehrten in einem großen Kreis wieder zu ihrem Baum zurück. Es sah aus wie ein Spiel, denn sie trugen keine Beute. Über dem Bahnhof in der Ferne stand ein kleines rötliches Dreieck zwischen den blaugrauen Wolken, das war die Sonne, die unterging.
    Bei Einbruch der Dunkelheit suchte der Fremde das Wirtshaus auf. An einzelnen blassgescheuerten Tischen saßen Menschen allein und still mit einer Flasche. Der Mann bestellte eine Mahlzeit und aß langsam. Der Abend schritt voran, es fanden sich mehr Gäste ein, sie raunten miteinander und starrten den Mann mit der Unverhohlenheit an, die man sich in einer abgelegenen Gegend wie dieser noch leisten kann. Schließlich kam auch der Akkordeonspieler. Die Männer tranken und tranken, und die Frauen wollten gern tanzen, man sah es ihnen an, denn es waren Frauen, die vom Tanzen schön wurden, wie man hierzulande sagt, immerzu juckten ihnen die Füße zum Tanz.
    Der Akkordeonspieler atmete schwer und laut, während er das Akkordeon vor seinem Bauch zurechtrückte. Die ersten Töne zogen sich wie unter Schmerzen aus dem Instrument. Der Akkordeonspieler schnitt bittere Grimassen zu seinem Spiel, er drückte die Tasten mit solcher Anstrengung, dass seine Knöchel weiß hervortraten.
    Immer wenn das Lied beendet schien, fing es wieder von vorne an, doch in Wirklichkeit wiederholte sich nichts. Die Frauen tanzten schließlich alleine, jede für sich, denn tanzen mussten sie, und sie wurden auch wirklich schön dabei, so kam es den Männern jedenfalls vor, obwohl ihre Augen vom Schnaps und Rauch und vom langen Lauschen auf das Lied trüb geworden waren.
    Sie dachten, so sollte es immer sein. Sie wollten ein Lied, das nie zu Ende ging, und sie wollten die Frauen dazu tanzen sehen, während sie selbst dort standen oder saßen und tranken, in kleinen Schlucken, die ganze Nacht, am liebsten auch in einer Winternacht, die lang war und ganz langsam in den Tag versickerte, der folgte.
    Gegen Morgen schlief der Gast ein, er legte den Kopf auf den Tisch und schloss die Augen. Der Wirt fegte leise um ihn herum die Stube aus.
    Das Ende der Geschichte ist jedes Mal anders, denn meistens hat man an dieser Stelle vergessen, dass es um die Grenze ging. Gestalten wie der Fremde lassen sich beliebig in jede Geschichte schubsen. Die Bilder des Fremden hat nie jemand zu Gesicht bekommen, am nächsten Tag war er verschwunden. Wer weiß, was darauf zu sehen gewesen sein mag. Den Schnee, die kahlen Bäume, die flüchtigen Spuren der Vögel, die tiefen Wolken des Winterdämmers, das alles kennt man hier nur allzu gut. Doch die Grenze – an deren Abbild wollte bald keiner der Schaulustigen, die ihm gefolgt waren, mehr glauben. Von jenem Abend in der Kneipe war noch lange die Rede, es war ein besonderer Abend gewesen, den man sich gern in Erinnerung rief. Der Fremde saß mit der Zeit nur noch als blasser und blasser werdender Schatten in der Geschichte und würde verschwinden, der Platz, den er in den Erinnerungen eingenommen hatte, würde sich nach und nach mit Schnee füllen, mit Himmel, Zigarettenrauch, Akkordeonklängen und mit dem schlurrenden Ziehen der tanzenden Frauenfüße auf dem Kneipenboden.

BATTONYA
    Alles wurde langsamer unter dem schweren Himmel. Frauen mit langen bunten kleingefältelten Röcken und Männer mit dunklen Blicken schleppten unförmige karierte Taschen von Tor zu Tor und boten Wolldecken und Kochtöpfe zum Verkauf an. Niemand öffnete ihnen, sie klopften an die Fenster und sprachen die wenigen Leute an, die auf den Pfaden entlang der Hauswände unterwegs waren. Niemand wollte ihre Decken, ihre Töpfe, nicht einmal die billigen Zigaretten, die sie schließlich anboten, niemand wollte überhaupt etwas von ihnen wissen. So schwand der Herbst, mit diesen kleinen ungewollten Horden von Verkäufern ungewollter Dinge. Jetzt würde der Winter kommen. Im Winter saß man drinnen und wartete. Man schlachtete das

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