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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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begehrte, stahl, um mit niemandem ein Wort, eine Geste, einen Blick wechseln zu müssen. In meinen Schritten hörte ich die Flucht, die ich nachts zwischen dem Klappern der Mülltonnen belauschte, und in meinen Armen fühlte ich die Last der billigen Taschen meiner Mitreisenden in den städtischen Autobussen. Ich dachte nichts mehr. Die Namen, die mir manchmal auf die Zunge stiegen, waren leer wie Gebete, die in der Entferntheit von Bildern leben. Hackney Wick. Kentish Town Public Baths. Springfield Park. 2a Stamford Hill, Stoller’s Kosher Egg Stores. Manchmal träumte ich von Gerüchen. Vom Muff alter Hirse und bitteren Spinats im Gemüsegeschäft, dem heißen Dampfgeruch frischer Wäsche in der Bügelei, vom Seewind, der die Themse heraufwehte, und im Aufwachen dachte ich: die Zuckerfabrik, das große Tier Zuckerfabrik hinter den dunklen Böcken der Flutsperre, die aus dem Wasser ragten.

ARAD NOU
    In Arad Nou blüht schon der Krokus, sagte Eva.
    In Evas Straße standen kalte Pfützen um die letzten Reste der Schneehaufen, es roch nach Rauch und Kohl aus den Hinterhöfen, vor den Toren standen Untätige und blinzelten in die weiße Sonne. Auch der kleine Besitzer des Lebensmittelladens mit der Aufschrift ›Club Azur‹ lehnte sich aus dem Hoftor, als hätte er mit dem Geschäft nichts zu tun, nichts mit den schief gestapelten Kekspackungen, Milchtüten und Bierdosen in seinem Schaufensterchen. Aber er trug einen geschäftsmännischen grauen Hut, darunter eine bittere Miene.
    Du kannst morgen bei mir Holz abladen, sagte Eva im Vorbeigehen zu ihm, und er nickte kümmerlich.
    Eva wohnte in einem stets dämmrigen Haus, in ihrem Garten hatte den Winter über alles dieselbe dunkle Farbe, die kleinen vom Sommer verbliebenen Gestrüppe, die Schuppen, die Zäune, das Dach der niedrigen Nachbarhäuser.
    Die Holzfuhre kam, die letzte für den Winter, der kleine Mann und Eva trugen die großen Klötze in den Hintergarten. Eva hackte Holz für die Holzkiste neben dem Kachelofen, sie holte aus, das Beil sauste mit großer Leichtigkeit und pfeifendem Schwung auf den Holzklotz. Beim Holzhacken erzählte Eva, wie der Hund der Nachbarn im Keller verhungert war, und wie der betrunkene Ofensetzer ihren Ofen falsch gerichtet hatte, so dass ihr Haus nie warm würde. Sie beschrieb wie der Ofensetzer und sein Sohn in jedem unbeobachteten Moment getrunken hatten, und ich glaubte ihr, denn in ihrem Haus herrschte tatsächlich eine allem widerstehende Kälte.
    Neben dem Club Azur stand die alte Synagoge, stets verriegelt, voll mit Dunkelheit hinter den hohen zierlichen Fenstern. Früher hatten hier die sehr Frommen gebetet, doch die waren längst fort, beteten jetzt hinter ganz anderen Fenstern, die sie vor grellem Sonnenlicht oder bitteren Winden schützten. Geblieben waren nur die Bücher, wie Eva sagte, Kisten und Stapel und Schränke voller Bücher, auf denen sich der graue feine Staub der Gegend niederließ, er rieselte zwischen die Seiten und biss sich in das dünne Papier.
    Hunde strichen zwischen den blauen Schnörkelbänken in Evas Straße herum und fuhren sich ab und zu mit Knurren an die Kehlen. Es waren beschädigte Hunde, einäugig, dreibeinig, mit Ohrstümpfen und Schwären im schmutzkrausen Winterfell. Aber sie hüteten die Straße, hatten ihren Platz hinter diesem und jenem Hoftor, unter den blauen Bänken und gelben Autos am schiefen Straßenrand.
    An einer Ecke wurde langsam ein großes Gebäude abgerissen, jede Woche ein weiteres Stück, Sucher machten sich zwischen den Trümmern und Ziegelhaufen zu schaffen, ein schiefes Stück Himmel klaffte über dem Abriss, warf Licht in diese Ecke der Straße, die Schatten waren dort schärfer.
    Eva klopfte an das Fenster eines kleinen Hauses. Über dem Fenster ragte ein schönes handgemaltes Schild in die Straße. Neben einer großen Schere stand ein Name in ordentlichen Druckbuchstaben, darunter: ›Kleider nach Maß und auf Bestellung‹. Der Schneider öffnete das Fenster und neigte sich aus der dunklen Tiefe seines Zimmers hinaus. Seine Augen wanderten unruhig über die Straßenkreuzung, während Eva ihm den Stoff beschrieb, aus dem ein weiter Rock für ihre Tochter geschneidert werden sollte. Die Tochter lebte mittellos in einer fernen großen Stadt unweit eines ansehnlichen Gebirges. Eva beschrieb den Rock mit Worten und Gesten, während des Schneiders Augen kreisten und zuckten, er nickte abwesend, müde Melancholie machte sich auf seinem Gesicht breit. Ja, ja, sagte er,

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