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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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anderer Stelle auszufuchteln und leerzurufen, sich durchs Gewühl zu rudern und den Gefahren des in unvorhersehbare Richtungen schnellenden Verkehrs die Stirn zu bieten.
    Hunde waren überall. Sie trotteten und liefen, bewegten sich wie Apparate. Sie schnüffelten an allem, ohne ihren Trott zu unterbrechen. Sie waren friedlich. Aneinander zeigten sie kein Interesse, auch nicht an vorübergehenden Menschen. Sie waren mit sich, ihrem Hunger und ihrem Trott beschäftigt, die Hungerhunde von Arad.
    Zwischen Wohnblocks standen kahle Pappeln. Kinder auf Balkonen riefen sich etwas zu, ein Mann und eine Frau führten in einem Hauseingang ein ernstes Gespräch. Der Mann blickte bekümmert zu Boden. Er trug einen schwarzen Hut auf dem Kopf und einen schwarzen Anzug. Offenbar hatten die beiden eine Meinungsverschiedenheit, jedoch ohne Streit. Die Frau in einem weißen Hauskittel über den Kleidern stützte sich auf einen Schrubber, neben ihr stand ein Wassereimer. Stilles Leben in der Winterstadt.
    Wir gelangten zum Fluss Mures, wo ein eisiger Wind ging. Ein Ufer lag bereits im Schatten. Man konnte sich vorstellen, wie im Sommer die heiße Luft darüber hing und die Weidenbäume graugrün und müde rauschten. Spazierhunde sprangen auf den kahlen Auwiesen umher, sie schnappten und fauchten und bellten unbändig, während die Hungerhunde ihnen mit Sanftmut aus dem Weg gingen.
    Früher pflegten wir den Mures zu durchschwimmen, sagte Eva. Immer hin und her. Dabei kann der Mures ein sehr reißendes Gewässer sein mit vielen tückischen Strömungen und Strudeln. Die Ausdauer beim Durchqueren des Flusses, bei diesem Hin und Her mit kurzem Abschlagen am weichen Ufer, die war es, die uns als junge Leute begehrenswert machte. Je größer die Ausdauer, desto begehrenswerter, das war die Regel. So verbrachten wir viele Sommertage, mit den leidenschaftlichen Durchquerungen des Mures, die eigentlich einer anderen Leidenschaft galten, doch diese dabei erschöpften und ermüdeten, bis wir kraftlos aus dem Begehrtsein sanken, vom Fluss ausgelaugte Schatten unserer selbst.
    Über den Mures führte eine Brücke. Bei jedem Auto, das auf die Brücke fuhr, ertönte ein dumpfer lauter Schlag, der ganz kurz nachschwang und jedem Passanten einen kurzen Nackenhieb versetzen musste, selbst den abgebrühtesten, die wohl jeden Tag hierher kamen und irgendeiner abwesenden Zeit nachhingen, im Winter den lauen Sommerabenden, im Sommer den blaudunstigen Wintertagen und dem glitzernden Raureif an den Weidenbäumen.
    Hier haben sie einen erschossen, sagte Eva mit gleichmütigem Ton, und zeigte auf eine Tafel an einem Baum unterhalb der Brücke. Damals, in der Revolution, als der Hunger so groß war, da haben sie von hier aus einen Bäckereifahrer erschossen. Eva zuckte mit den Achseln. Damals hielten wir ein Schwein im Schuppen im Garten, und der Winter war so kalt, dass der Hund des Nachbarn erfror.
    Eva führte mich vom Fluss fort durch schmale Straßen auf einen Platz im Dämmer. Tauben drängten sich unter den Vorsprüngen eines Denkmals zusammen. Straßenbahnen bogen um eine Kurve, die bereits im Dunkel lag. Manche Fenster waren erleuchtet. Wir gingen in eine kleine Cafeteria hinter beschlagenen Scheiben. An zwei Tischen saßen nur Frauen, an weiteren zwei Tischen nur Männer. Alle blickten erwartungsvoll zur Tür. Hinter der Theke mit schrumpligem Gebäck lehnten zwei Mädchen an einer verspiegelten Wand. Gläser mit Tee und kleine Kaffeetassen dampften vor den Gästen. Eva zeigte auf eine schwere Frau mit einem Turban aus mehreren Tüchern. Das ist meine Cousine Ibi, sagte sie. Sie verwickelte Ibi in ein langes Gespräch. Zwischendurch erklärte sie mir leise, dass Ibi einen Liebhaber habe, den sie aber vor allen Besuchern verberge. Wenn ich es nicht so genau wüsste, hielte ich es für ein Gerücht, sagte Eva.
    Ibi hatte eine ausladende Unterlippe und wässrige blaue Augen. Wie eine stramm gewickelte Puppe saß sie halb auf dem Stuhl, halb an die Wand gelehnt, in etliche Schichten Kleidung eingerollt. Als hätte sie jemand dort abgestellt. In der Hand hielt sie einen schwarzen Stock. Die Worte fielen aus ihrem Mund auf die dicke Unterlippe und verloren sich dann im leichten Dunst des Raums. Ibi war freundlich, aber schläfrig. Sie machte die Augen klein.
    Es war jetzt dunkel, die Straßenlaternen brannten. Der Platz war mit Stille zugedeckt. Nur an einer Stelle streifte ihn die Straßenbahn, die ab und zu leise klingelte. Auf dem Schild über der

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