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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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bin ich müde.
    Er nannte die Namen der Schauspieler auf den verfärbten Fotos.
    Und die Filme?
    Er nannte die Filme zu den Gesichtern, lauter Worte, manche verstand ich, aber kein Bild gehörte dazu, kein Laut, keine Geste, leer wie die Filmspulen, die in den Ecken des Vorführraums und den kleinen taubenverdreckten Verschlägen auf der Rückseite des Kinos herumlagen.
    Spätnachmittags kam Attila mit seiner Angel und ging hinunter zu dem kleinen Fluss, der am Fuße meines Gartens verlief. Manchmal fing er ein, zwei Fische, er warf sie in einen Eimer voll Wasser hinter dem Haus.
    Wenn genug Fische da sind, koche ich eine Fischsuppe, sagte er.
    Was für eine Fischsuppe?
    Wie meine Mutter sie gekocht hat, das war die beste.
    Wo ist deine Mutter?
    Gestorben.
    Attilas Sätze waren immer kurz. Er sagte auch nicht ›meine süße Mutter‹, er sagte nur ›meine Mutter‹, und sie war tot.
    Nachts holten hungrige Katzen die Fische aus dem Eimer, die Köpfe mit dem dünnen Fischblut, den stumpfen Kiemen und den toten Augen fand ich manchmal in einer Ecke der Veranda.
    Attila sagte nichts dazu, er fischte weiter, und der Eimer war jeden Morgen wieder leer.
    Er saß an der steilen Böschung und schwieg. Die Erde war noch kalt und feucht vom Hochwasser des Frühjahrs, der Wind ging durch das Schilfgras, und die Schafe des rumänischen Popen blökten auf ihrer Weide jenseits des Flusses. Am anderen Ufer, Attila gegenüber, saß der kleine Lehrer András, fahlhaarig und scheu drückte er sich in den Schatten der Weidenbäume, hob nur grüßend die Hand, wenn er mich sah, und legte sie dann wieder an die Angel, die er mit beiden Händen hielt. Später, wenn die Sonne sank, kroch er zwischen den Bäumen zurück in sein Haus, nur seine Haare sah man durch das lichtlose Gebüsch. Sein Haus stand nahe am Fluss, ein kleiner Kasten mit Obergeschoss wie nur wenige Häuser hier, die schartenartigen Fenster unter dem Schrägdach blickten nach Südosten. András war Lehrer gewesen, bis ihn ein Nervenfieber ereilte, wie es hieß, er stand vor seiner Klasse und ihm kamen die Tränen, immerzu kamen ihm die Tränen und erstickten seine Stimme, er schlug die Hände vors Gesicht und weinte leise und reglos, während die Kinder verlegen lachten. Schließlich kam ein Arzt und führte ihn fort, da versiegten seine Tränen. Später kam er aus der Nervenheilanstalt, wie man hier noch zu sagen pflegte, seine Nerven waren wund und dünn und sollten es immer bleiben, er kehrte nie mehr in die Schule zurück und eröffnete ein kleines Heimatmuseum. Das Heimatmuseum war voll von Fotografien aus seinem Familienalbum, sie lagen in selbstgezimmerten Vitrinen, und unter den Fotografien befanden sich kleine Zettel mit verschlungener Schrift: Leihgabe von András Cs.
    Es waren auch Möbelstücke ausgestellt, die gleichen Sessel, wie Olga sie besessen hatte, und ein geblümtes Sofa, wie es Todors Tante hinterlassen hatte.
    Einmal führte er mich durch sein Museum, er fuhr mit den dünnen Händen über jeden Gegenstand, seine Erklärungen gab er in einem melodischen Flüstern. In einer Ecke stand ein Akkordeon, er streichelte über die Tasten, das Akkordeon macht die Musik unserer Heimat, erklärte er.
    Es war Frühling, und zwischen dem Schilf standen schon Sumpfiris, gelb, samten und fleischig.

GRANICA
    Ich fuhr von Srpska Crnija nach Kikinda und von Kikinda nach Novo Miloševo. Ein trauriges Land, dachte ich auf den breiten Straßen im Staubschatten der Lastwagen, in der Sonne, und ich wusste nicht warum. War es der nackte Friedhof von Rusko Selo, an dem ich würgte, dieser glänzende kahle Straßenrandfriedhof mit den schraffierten Zeichnungen markanter Gesichter auf den Gräbern, stolze Frauen, starke Männer, verwegene Jungen, alle sahen aus wie Helden. Serbische, vielleicht auch bulgarische Namen standen in ihren feierlichen Buchstaben auf dem polierten Stein. Wir sind ja Verwandte, pflegte mein Serbennachbar Todor zu sagen, wenn er dem zugereisten Bulgaren in Battonya auf die Schulter klopfte, einem schweigsamen, stets verlegen grinsenden Fernfahrer, der das Herz seiner ungarischen Liebsten beim Kellnern auf einem Donaudampfer errang, irgendwo zwischen Budapest, Belgrad und Ruse erkannten sie einander, kehrten dem Servieren den Rücken und lebten nun ihr wortkarges Leben der Gesten und Blicke in der Ebene, fern der großen Flüsse.
    Der Friedhof von Rusko Selo lag offen, baumlos und unbeschützt, klein vor einem braunen Feld, dahinter das Dorf, das

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