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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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so schnell und leise überfluten kann.
    Irgendwo kreuzten Gleise die Straße, eine bröckelnde Böschung gesäumt von Masten, die der Wind schiefgeblasen hatte. Ich erinnerte mich an das lautlose graue Eisenbahntier von Kanijža, das so heimlich angefahren kam. Pendelten auch hier solche verbeulten Waggons, aus denen sich dem einen oder anderen Gestrandeten der Arm des Schaffners entgegenstreckte, ein kleiner Scheinverkehr, der die Worte aufsammelte, die hier unpassenderweise gewechselt wurden?
    Im Ödland zwischen Bočar und Pađej lösten sich alle Schatten auf, die die Straßen gesäumt hatten, um die Häuser lagen, auf den Friedhöfen lungerten. Hier gab es keine Namen, es war eine sich selbst anheimgestellte Welt der unzugehörigen Dinge, die ihre eigene, langsame Sprache pflegten.

PAĐEJ
    Zwischen Straße und Bahndamm in Richtung Pađej lag ein Streifen Heideland, dann die Geröll- und Unkrautböschung. Schafgarbe würde dort blühen, Wegerich, Mohnblumen, wilder Salbei in violetten Inseln. Später Klettengras, das sich in allen Kleidern festsetzte, bis zum Winter in den Fasern saß und stach. Ein Mann saß auf den Gleisen, gebückt, die Beine gekreuzt, neben ihm ein Hund. Der Hund hielt sich so aufrecht, dass sein Kopf ein wenig über den des Mannes hinausragte. Der Wind strich über die Landschaft, durch die Bäume, über die kleinen Tümpel, das erste Unkraut am Bahndamm.
    Der Mann wandte sich zur Straße und hob die Hand. Ich hielt an und stieg die Böschung hinauf, der Mann hatte sich wieder umgedreht, blickte nach Norden, wo in der Ferne eine Ortschaft am Rand des flachen Ödlands lag. Der Hund zuckte unruhig. Von dem kühlen lauten Wind hing ein stetes Sausen in der Luft, unter dieser Unablässigkeit fühlte ich mich auf der winzigen Erhebung des Bahndamms wie ausgesetzt, als könnte der Wind mich einfach davontragen, ein zufälliges Fundstück des späten Nachmittags.
    Man weiß nie, ob ein Zug kommt, sagte der Mann. Manchmal betreiben sie die Strecke, manchmal nicht.
    Der Hund japste nervös.
    Ich bin müde, sagte der Mann. Sein Gesicht trug den Verdruss der Erschöpften, die sich zu lange im Vergeblichen aufgehalten haben. Er zeigte auf mein Auto. Du kannst mich mitnehmen, die Straße führt nirgends hin als nach Pađej.
    Er stand auf und gab dem Hund einen kurzen flachen Schlag auf das Hinterteil, der Hund setzte sich in Bewegung, trabte über die Schwellen, auf das Dorf zu.
    Der Mann stieg ein. Er sagte nichts, hob nur die Hand, als sei ich dazu bestellt, ihn so zu fahren, wie er es wünschte. Er atmete asthmatisch, laut, seufzte sich über die Unebenheiten der Straße.
    In Pađej wies er den Weg zu dem kleinen Bahnhof. Bäume säumten die Straßen, auf einer Wiese spielten Halbwüchsige Fußball, sie traten stumm den Ball, liefen im schrägen Licht der tiefstehenden Sonne, Dunst stieg auf, machte alles unscharf und weich. Komm, trink einen Kaffee, sagte der Mann, als wir am Bahnhof ankamen. Wir müssen auf den Hund warten. In der Tür eines kleinen Geschäfts mit Kneipe hing der bunte Vorhang aus Plastikschnüren, als wäre es schon Sommer. Eine Frau stand hinter der Theke, sie trug ein rotes Kleid mit weißen Punkten, das Kleid hatte kurze ärmel, man sah, dass sie fror, die Haut auf ihren Armen war bläulich vor Gänsehaut. Sie sagte nichts, machte sich an der Maschine zu schaffen, stellte zwei kleine Tassen auf die Theke.
    Was machst du hier?, fragte mich der Mann.
    Ich will an den Fluss, sagte ich.
    Und dann?
    Auf die andere Seite.
    Die Fähre geht, bis es dunkel wird, sagte er. Warum bist du hier?
    Ich weiß nicht, sagte ich.
    Hier gibt es nichts zu sehen, sagte er. Was hier geschieht, versinkt und versickert im Boden. Leidenschaften, Hoffnungen, Kämpfe, das Kriegsgestöhn der Jahrhunderte, davon nähren sich hier das Schilfgras und die Frösche, vor allem die Frösche. Hörst du sie?
    Er hob die Hand, schweigengebietend. Natürlich hörte ich die Frösche, man hörte sie überall zwischen Mures, Tisa und Donau, das war das Froschland, das im Frühling wochenlang unter ihrem dumpfen Singen bebte.
    Diesen Froschgesang gibt es nirgends sonst, das will ich beschwören, erklärte der Mann. Es ist, als würde Jahr für Jahr mit den dicken Schichten Froschlaich auf Tümpeln und Pfützen, den kleinen Weihern und dem stehenden Wasser in den Gräben der Klang der Trommeln, Hörner und Soldatenstiefel wieder ausgebrütet. Dabei gibt es hier nichts zu gewinnen. Nichts als die Leere, das Warten. Alle

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