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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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Russendorf, das aussah wie auf einer deutschen Postkarte, wie es sie in meiner Kindheit von jedem beliebigen kleinen Ort gab, eine Ansammlung von Dächern und eine Kirche, gebettet in Frühlingsgrün. Wie sehr doch die deutschen Postkarten Dächer liebten, Dächerhaufen, die Dächer waren die Hauptsache, Flusslandschaft mit Obdach.
    Doch zu den Flüssen war es auch hier noch weit. In Srbska Crnija, hinter der rumänischen Grenze, standen alte Damen im Sonnenschein auf ihren Balkonen, wohin mochte der Ausblick gehen aus den Wohnblocks in matten Farben, mit rissigem Putz, kühler Schrift, dem einen oder anderen Wandbild, das vom Heldentum handelte?
    Kinder kehrten von der Schule heim. Frühjahrslicht fiel auf die Schulranzen. In manchen Ecken drückte sich noch welkes Herbstlaub herum, und die Kinderfüße suchten danach. Hausfrauen machten Einkäufe an kleinen Gemüsekiosken, die aussahen, als habe die Hast einer Not sie dorthingezimmert. Kartoffeln gab es, Kohl, Zitronen, Zwiebeln, äpfel.
    Es war sehr still, obwohl sich alle bewegten, langsam, stetig, wie in einem Panoramabild. Panorama einer beschäftigten Landschaft. Die ganze Landschaft kaute an etwas und wollte nicht sagen was. Eine ordentliche Landschaft, die Straßen gesäumt von Eigenheimen, wie man sie überall dort sah, wo die Arbeiter andernorts gelernt hatten, wie ein Haus aussieht, ob in Makarska, Visoko oder Srpska Crnija.
    So sieht ein Haus aus, wird jedem dieser Eigenheimbauer vor vielen Jahren ein sogenannter Kollege gesagt haben, so kommen sie im Lichte unserer Heimat am besten zur Geltung, die exakten Winkel, die knapp geneigten Dächer, die erbarmungslose Symmetrie der Fensteranordnung, die massive dunkle Haustür, die schwer hinter dem Familienvater ins Schloss fällt. Das ist unser Siedlungscharakter. Die hiesigen Eigenheimbauer werden ihrem Feierabendbier bestätigend zugenickt und in schlaflosen Nächten auf durchschwitzten Kissen manches Betonfundament gegossen haben, im Schlafdunst der Landsleute und dem bläulichen Licht der Straßenlaternen, im fremden Land. Und das brachten sie nach Hause mit, schweigsam und scheu zuerst am Rande der ferngerückten Familie, doch dann mit angespartem Nachdruck: So muss es aussehen, unser Haus.
    Auch das ist ein Nachkriegsland, erinnerte man sich.
    Auch das ein Land der Abgebrochenheiten, der hastigen Platzwechsel, der verwischten Spuren, der verlassenen Friedhöfe. Unversehens sind sie hier am rechten Ort, diese abgezirkelten Doppelstockhäuser mit Balkon, in denen man in Ruhe gelassen werden will. Ein Land mit breiten Straßen, auf denen Kanonen reisen konnten, mit Feldern, die selbst jetzt, gepflügt und voll Erwartung, wie verwüstet aussahen, große saubergewischte Leerflächen. Eine Leere, an der man flickte und nestelte, um sie weniger abwesenheitsträchtig zu machen, eine Leere, wie sie dem Eckensteherkind der emsigen Schulklasse in die Augen sticht, wenn es seinen eigenen Platz betrachtet.
    Wo war das weiche Licht von Jimbolia, Teremia Mica, Comlosu Mare, die kleinen Pferdchen, die die schwankenden Särge zogen, die schleppenden, sammelnden, schuftenden Zigeuner und ihre bunten Frauen, die von ihrem Sargbock den Passanten spöttisch zulachten?
    Lastwagen fuhren über die makellosen Straßen, die so abgeschnitten von dem Land ringsum verliefen, ganze Kolonnen von Lastwagen mit nichtssagenden Aufschriften und Ortsnamen, sie waren wie die Straßenbahnen in Arad, nur die Eingeweihten kannten die Ziele und waren mit den Regeln vertraut, die sich hinter vorgehaltener Hand herumgesprochen hatten.
    Ich suchte abseits der großen Straßen, wusste nicht was, geriet auf Wege, die von schütterem Gebüsch gesäumt waren. Ein Mann trat zwischen dünnen Bäumen hervor, hinter ihm stieg Rauch auf, eine zitternde schmale Rauchsäule, zart in der Frühlingsluft, vielleicht hatte er in der Nacht gefroren. Nix, sagte er, und wedelte mit der Hand. Granica! Er scheuchte mich fort.
    Im nächsten Dorf ging ich in ein Geschäft. Kinder aßen im Hinterzimmer zu Mittag und starrten, die halbzerkauten Kartoffeln im offenen Mund, die gähnenden Schulranzen neben sich. Die Geschäftsfrau lachte. Nur Wasser?, sagte sie auf Deutsch, als ich bezahlte. Sie folgte mir durch die Tür auf die Straße.
    Kikinda?, fragte sie.
    Sie zeigte nach Westen, als fürchtete sie, ich könnte bleiben oder in die falsche Richtung fahren.
    Ein Mann auf einem Fahrrad kam mir entgegen, neben ihm ein Rollstuhlfahrer, der tief in seinem Dreirad hockte,

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