Banatsko (German Edition)
ein kleines Gesicht unter der Mütze, den Körper in eine Decke gehüllt. Der Radler hatte die Hand an die Rücklehne des Rollstuhls gelegt und schob ihn an, so rollten sie beide, behände von seinem Schwung, Richtung Grenze.
›Banatsko Veliko Selo‹ stand auf einem Schild, das Große Banater Dorf.
BOČAR
In Novo Miloševo war Feierabend, Leute drückten sich in den Busunterständen herum. Der Ort hatte etwas Stehengelassenes, als verließe die Bevölkerung halbherzig ausgeführte Unternehmungen, Tätigkeiten, ganze Leben und führe jetzt mit dem Bus davon, um Abend und Nacht in einem schöneren, fertigeren Leben zu verbringen. Überall drängte sich Angebrochenenes auf, halb gepflügte Gärten, halb beschnittene Obstbäume, halb geteerte Straßen, halb umzäunte Baustellen, blühendes Unkraut auf den Sandhaufen neben ausgehobenen Schächten. Alles verharrte in der Sorge, ganz im Stich gelassen zu werden, während nichts geschah, um die Halbheit zu schmälern. Am Morgen kamen die Busse, wer heute abreiste, würde morgen wiederkommen, aussteigen, die Augen schwer und müde vom frühen Aufstehen und der Fahrt durch eine morgengraue Welt, würde die ihm unterstellte Angebrochenheit hüten und am Nachmittag wieder so leeräugig am Busunterstand stehen und nach Hause fahren.
Zwei zum Verwechseln ähnliche Landschlösschen standen an der Durchfahrtsstraße einander genau gegenüber, ihre hellblaue ähnlichkeit erschien wie ein stumpfer Fingerzeig auf ein Feindschaftsgeheimnis. Als ließen sich in den hübschen Verzierungen und Einzelheiten die Spuren eines erbitterten Wettkampfs ablesen, zwischen zwei Brüdern, oder zwei Liebhabern derselben Frau.
In Zigeunerstraßen dampfte das Barackenleben, Feuer schwelten, Hunde lärmten, alles lag in armseliger Ganzheit ausgebreitet, zu etwas Ganzem zusammengestückelt aus dem, was die Abbrüche abgeworfen hatten. Über den Zäunen hingen Kleider, Teppiche, Decken, in den Höfen sammelte sich der Schrott, der sich noch zu irgendeinem Nutzen bringen lassen könnte. So lag auch die Zigeunerstadt am Rand von Belgrad am Fuß der hohen Eisenbahnböschung gebettet, blau im Morgendämmer, überall zwischen den schlafenden Hütten glimmende Feuerpunkte und dünner Rauch, wenige, langsame Schatten im frühen Halblicht, dahinter die schöne Stadt, die kühl aus dem Dunst der Flüsse stieg.
In Novo Miloševo bog ich ab und suchte die Tisa. Die Straße führte zwischen Feldern entlang, Mais würde dort wachsen, im Herbst würde die Luft staubig vom niedergemähten Getreide, die Bauern würden hier wie in Battonya, Grabaţ und Pančevo in ihren Höfen die Kolben von den trockenen Blättern trennen und in die hohen Holzspeicher schichten, die wie Wachtürme in einer Ecke der Gärten stehen und als erstes einstürzen, wenn ein Anwesen verlassen liegt.
Ich kam nach Bočar. Schnurgerade Straßen, die einander kreuzten, am Ende Horizont oder Schilfland, tiefe Furchen in den unbefestigten Wegen. Das sind die Banater Dörfer, hatte mir ein Lehrer in Periam gesagt, so ist das bei uns. Am Ende ist immer der Himmel.
Wo ist die Tisa, fragte ich zwei Zigeunermädchen, sie zeigten unentschlossen nach Süden und nach Westen.
Es gibt nur eine Straße. Wo kommst du her?
Novo Miloševo, sagte ich. Sie lachten.
In der Tiefe der Straße hinter ihnen stand ein Mann vor einem Haufen von Autoteilen und beobachtete uns. In den Schutz einer kleinen Bodenerhebung drückte sich ein Friedhöfchen mit weißen Kreuzen, schmalen Gräbern.
Das Dorf hörte auf, die Felder versickerten in die Verwilderung, Ödland brach an, rissige Straßen, die sich manchmal fast im Gras verloren. Kleine Gewässer, Sumpf, Heide, einzelne Bäume. Im Wind die hohen Stimmen von Vögeln, die man nicht sah, das dumpfe rhythmische Gurren der Rohrdommeln im Schilf, eine Trommel, die auf ihren vibrierenden Schlägen das hohe Zirpen der Vögel, das Sirren des Grases im Wind, das Rauschen von Storchenflügeln, die Reiherrufe trug. Unter dem nachmittagsblauen Himmel, in den sich schon Abend mischte, eine Leere, die Nichts war und gleichzeitig die Welt. In der jeder Ton auch Stille wurde. Zwei Männer machten sich an einem Tümpel zu schaffen, sie fischten, suchten, fingen etwas, schauten auf, ungläubig und misstrauisch, zwei versprengte Wärter der Besiedlung. In weiter Ferne die bläulichgrünen Schatten von Bäumen, vielleicht der Auwald, der breit den Fluss säumte, das Schwemmlanddickicht, das sich hier um die Ufer legt, die das Wasser
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