Banatsko (German Edition)
den stillen Straßen abseits des Corso, an den blassen Ausfransungen ins offene Land blühte die Vergangenheit zwischen allen Ritzen, die Stadt atmete kaum merklich vor Langsamkeit, aufgehoben im Zeitlosen, in der Hinnahme jeglicher Grenzverschiebungen. Man zwinkerte sich zu wie auf dem Theater, wenn die Barrieren hinauf- und hinuntergingen, ein Fuß in Rumänien, der andere schon in Serbien, aus einer Bude tönte ein Akkordeon, Männer nickten, jedermanns Schuhe waren staubbedeckt.
FRONTIERA
Das erste Frühlingsgewitter kam an einem Sonntag, im scharfen Nachmittagslicht wirkten die Dinge flacher als am Morgen, alles rückte näher, die Schatten wurden dunkler, am dunkelsten die Schatten von zwei Frauen an einem Straßenrandfriedhof. Der Friedhof sah in diesem Licht aus wie eine Stätte der Überbleibsel, über die ein rätselhafter Wind der Verwüstung hinweggegangen war, ein Feld der Stümpfe, grau und nackt ragten sie in die plötzliche beißende Hitze. Die beiden Frauen sahen sich um, einen trägen Argwohn im Blick, der hier selten war. Sie trugen kleine Geräte in der Hand, Gartenharken und eine Kanne, um zwischen den Stümpfen Ordnung zu schaffen. Ich bog von der Straße ab in einen kleinen Weg, da fuchtelten sie mit den Armen, Frontiera, riefen sie, Frontiera, sie winkten, ihre schwarzen Jackenärmel flatterten, sie sahen aus wie Vögel. Grenzvögel, eine langschnabelige, dunkelfiedrige Sorte, die am Rand der kleinen Wasserläufe ihre Nahrung sucht.
Unter einem Baum saß ein Mann in Uniform. In einem Wagen, halb verdeckt zwischen grauem Gebüsch, schlief ein zweiter unter seiner Berufsmütze. Der Sitzende erhob sich. Was wollen Sie?, fragte er, als hätte er etwas zu verkaufen, ein Stück Grenze vielleicht, ein Streifen Land, breit genug, um von der einen auf die andere Seite zu wechseln.
In der Nähe, zwischen sumpfigen Auen und schütteren Bäumen, spürte man den Fluss. Aranca, die kleine Goldene, die ein paar Meter weiter Zlatica wurde und noch ahnungslos dahinfloss, der Tisa entgegen, die ihr bald in die Quere kommen würde.
Später sah ich zwei Ziegen an demselben Fluss, das war in Sinnicolau Mare, Nagyszentmiklós, eine Greisin saß auf einem schiefen Stuhl im violetten Gewitterlicht und betrachtete die Straße, die sich hier gabelte, nach Ungarn, nach Serbien. Lastwagen wirbelten Staub auf, Hunde trotteten erschöpft über den schmalen Geröllstreifen zwischen Asphalt und der Böschung zum Straßengraben. Die Luft war erfüllt von Froschgesang in Erwartung des Regens, die Ziegen schauten reglos und weiß, zwei Frauen unter einem noch kahlen Baum winkten mich heran, Bartók Béla?, fragten sie, ja, hier war er geboren, am goldenen Fluss, und deshalb kamen die Fremden, schauten sich zwischen den Fröschen und Hunden um, und fotografierten sich vor dem rostroten Tor einer Autogarage. Neben dem Tor hing eine gilbige ungarische Dreifarbenschleife an einem verdorrten Kranz.
Später donnerte es, die alten Frauen blieben auf ihren schiefen Bänken sitzen, der Regen stand milchigblau in der Ferne, möglicherweise jenseits der Grenze, in Serbien oder Ungarn, wo nun die Wasseradern schwollen und die Frösche glücklich wurden. Unter einem Regenbogen stand ein Kesselflickerwagen mit roten, schwarzen und gepunkteten Töpfen behängt, mitten auf einer großen Wiese, Pferdchen grasten im struppigen Abseits, Kinder bauten einen Holzhaufen für das Abendfeuer. Die Wiese war riesig, gegen die Gewitterwand und den sich dagegen wölbenden blassen Regenbogen gelblich wie ein Bild aus verrutschten Farben, und in dieser fahlen Gelbheit, der Weite, mit dem seltsamen, bepackten Gefährt, dessen scheppernde Fahrt man sich gar nicht vorstellen mochte, mit den springenden Kindern um die zukünftige Feuerstelle, die vorerst nur ein dunkler Fleck war, eine sperrige Wölbung im büschligen Gras, so lag sie da wie ein Land für sich, ein abgestecktes leeres Land, das allem anderen ringsum einschließlich des Himmels samt Regenbogen und Gewitterregen so fremd war, dass seine Grenze keinerlei Bewachung bedurfte.
BATTONYA
An einer Ecke meiner Straße stand das Schrotthaus, auch so ein Zigeunerhaus, wie es hieß, Kinder brachten Gerümpel auf Leiterwagen ans Tor und kassierten kleine Münzen dafür ein, Hühner pickten zwischen rostigen Autoteilen. Ab und zu kam ein großer Lastwagen mit Baggerschaufel und Waage und hob die Schrottsammlung aus dem Hof. Dann gab es lautes Rufen und Poltern, die dünnen schnurrbärtigen
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