Banatsko (German Edition)
irremachenden Flackern der Lichter. Die Trunkenen schlugen mit den Fäusten gegen den Kasten, Frauen und Männer, jeder soff, jeder spielte, und eines Nachts gewann ein kleiner buckliger Mann, ein Dicker mit knolligem Gesicht, ein einsamer Mann, ohne Frau und Kind, er strich den Batzen ein und ging einfach weg. Eine bittere Wut schüttelte die anderen und ließ alles verstummen, die Musik, das Lachen und Kreischen, jeder fühlte kalt den Mangel dieses Batzens in der eigenen Tasche, und das war die letzte Saison der Kolchosenkneipe.
An den Straßenecken der Felder standen die zu weißen Schaumstoffbergen aufgetürmten Keimlingskisten in stinkenden Flammen, der gelbliche Rauch kroch über die Straße. Das schrille Mädchen verschwand aus dem Kneipengarten, einmal sah ich sie an einem anderen Ort am Straßenrand, groß, satt und bunt stand sie hinter schmalen Zigeunermädchen im Frühlingslicht unter blassblauem Himmel, sie schauten einem Mann zu, der ein junges Pferd Gehorsam lehrte, indem er es an einer Leine im Kreis laufen ließ. Er war an diesem Vormittag der König über das Pferd und die Mädchen, die ihn stumm betrachteten.
Der Winter war groß gewesen, wie man hier sagte, jetzt war er über alle Berge, doch an allem hatte er gefressen und gerissen, Dächer sanken ein, Mauern sackten zusammen, Pilz schwoll aus in stillen Ecken, die Dinge waren unter Eis und Schnee widerspenstig geworden, hatten ein Leben ausgebrütet, das sich unwillig in den Frühling fügte, in Sonnenschein und lauen Wind, ein Leben der Schäden, der Risse und Brüche. Mütter verließen ihre Kinder, Männer ihre Frauen, Hunde ihre Herren. Verdruss und Sehnsucht trieb sie fort, und sei es auch nur in die Arme des erstbesten, der ihnen im rechten Moment des Zusammenspiels von Abendlicht, Vogelsang und einem ersten herzergreifenden Maiglöckchenhauch über den Weg lief.
Im Zuschauerraum des Kinos standen Pfützen unter Sprüngen in der Decke. Zwischen der Deckenverzierung aus aufgemalten hellgrünen Feldern und Streifen dunkelten große Flecken, umstanden von gelblichen Kränzen aus aufgequollenem Putz. Es roch nach saurer Winternässe, nach den Ausblühungen der Mauern dicht über dem Fußboden, nach angesammelter Kälte, die sich durch die geöffneten Fenster und Türen nicht hinauswagte, sie wollte auf den klammen hochgeklappten Sitzen hockenbleiben, ins Dunkel gehören, zwischen den schimmelstaubigen Fotos der Filmhelden schlafen, die aus fernen Jahren lächelten, in ihren rotstichigen spitzen Krägen, schweren Brillen und gepunkteten Rüschen. So waren sie hier auf der brüchigen Leinwand ihrem Schicksal nachgeeilt, ihre Hemden, Kleider, Augen und Haare hatten den Staub zwischen Projektor und Leinwand gefärbt und sich mit ihm in den Sitzpolstern niedergelassen, wo ihre staub- und milbengewordenen Lippen vielleicht noch das eine oder andere zu wispern wussten.
Ich ging ins leere Kino, saß im Dunkeln, bis mir die feuchte Luft in der Kehle stockte, horchte auf den tropfenden Wasserhahn in dem winzigen Raum, wo Olga ihr Buffet geführt hatte, da hatte sie in ihren schwarzen Schnürstiefeln gestanden, kaum ein Schritt war es zwischen Wasserhahn und Ausgabefenster und dem kleinen Schrank, der dort gewesen sein musste, mit kleinen Tassen und Papiertüten für Nüsse und Zucker. Was hatte sie während der Vorstellung gemacht? Hatte sie mit der Garderobenfrau geplaudert, die, den Kopf in beide Hände gestützt, an der Theke ihrer Mantelannahme lehnte und Geschichten von Kellnern in fernen Städten zu hören verlangte, hatte sie geraucht, im Sommer am Straßenrand, vor dem Notausgang, und dem Flüstern, Lachen, Rufen der Filme gelauscht, die nach draußen schallten, der gewaltigen Musik, die hinter den Bildern floss?
Auf der Rückseite des Kinos war eine Mauer eingestürzt, die Attila neu errichtete. Hinter ihm stand borstig das Unkraut vom letzten Sommer, die Eulen hockten im Walnussbaum, und die Pflaumenbäume blühten.
Ich arbeite gerne hier, sagte Attila. Ich denke an früher.
Früher. Was für ein großes Wort in einem fremden Leben.
Wenn die Mauer fertig ist, kommt das Dach, sagte er.
Über eine Feuerleiter stieg man auf das Kinodach. Es war fast flach, über die Risse und Schründe im Dach konnte man spazieren und in die Ferne schauen, von den Dächern unten bis zum Horizont, nach Rumänien, zum Bahnhof und den ausgebrannten Tabakspeichern, zu den Pappeln am Fluss.
Magst du Kino?, fragte ich ihn.
Ja, früher.
Und heute?
Heute
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