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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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wieder. Wir warteten.
    Die Fähre fuhr nicht, die Menschen lärmten an der Anlegestelle, die Ziegen blökten, die Pferde schnaubten und wieherten unruhig, ab und zu ließ jemand den Motor seines Mopeds aufheulen. Die nächste Brücke war weit. Der Fluss lag so glatt und sanft wie ein Bild, es war später Sommer. Abends wurde es schon neblig, weil die Nächte kühler wurden.
    Nach zwei Tagen fand sich ein Fährmann, der den Dienst meines Vaters übernehmen konnte. Zuerst hatten die Leute Angst, doch dann zeigte sich, dass es ein guter Fährmann war, er steuerte die Fähre ruhig und sicher vom einen ans andere Ufer.
    Eines Abends brachte ein Mann vom Fluss uns Fische. Esst, sagte er, sonst werdet ihr ganz schwach. Meine Mutter kochte ihre Fischsuppe. Der Duft erfüllte das ganze Haus. Die Nachbarn klopften an die Tür, weil sie dachten, mein Vater sei zurückgekommen, und meine Mutter habe zur Feier Fischsuppe gekocht.
    Meine Mutter und ich aßen die Suppe. Wir aßen langsam, denn wir hatten mehrere Tage fast nichts gegessen. Die Suppe schmeckte anders als sonst, doch das konnte an unserem Hunger liegen, und daran, dass sie uns im Kummer Trost spendete.
    Dann fand meine Mutter in ihrer Suppe einen Zahn. Er sah aus wie ein Menschenzahn, und meine Mutter erschrak. Sie musste sich erbrechen und wurde krank. Sie erbrach sich immer weiter, obwohl sie nichts mehr aß, tagelang. Sie erbrach sich bis zu dem Tag, an dem der Polizist kam und sagte, sie hätten meinen Vater gefunden.
    Wo?, fragte meine Mutter.
    Weiter unten am Fluss, sagte der Polizist.
    Ich will ihn nicht sehen, sagte meine Mutter.
    Gut, antwortete der Polizist. Er sieht schrecklich aus. Etwas hat ihm das Gesicht zertrümmert, und das Wasser hat seinen Körper aufquellen und blau werden lassen.
    Später kam er und brachte den goldenen Ehering meines Vaters. Daran hatte man ihn erkannt, sagte er. Männer in unserem Dorf trugen keinen Ehering, doch meine Mutter hatte es sich von meinem Vater gewünscht.
    Es war eine kleine Beerdigung, die Leute schwiegen, was sollten sie auch sagen. Vor Erleichterung, dass man nicht selbst vom Unglück getroffen wurde, vergeht manchem das Mitleid.
    Nach der Beerdigung packten wir unsere Sachen. Wir waren allein auf der Fähre, wir und unsere Sachen, und der neue Fährmann setzte uns auf die andere Seite über. Er sagte kein Wort, als wäre er stumm. Ich sah unser Ufer kleiner werden, dann waren wir schon auf der anderen Seite.
    Meine Mutter hat nie wieder Fischsuppe gekocht, und wir sind nie wieder mit der Fähre über die Tisa gefahren.

SENTA
    Deitsch?, fragte der Mann an der Tankstelle auf dem Weg nach Senta, als ich nach dem Friedhof fragte.
    Alles lag in den ersten Lindenduft gehüllt, darin segeln die Banater Städtchen wie in einem Ozean, der sie von einem lindenlosen Festland schwemmt. Ich schwieg, der Mann lachte. Deitschen weg, sagte er, als ich bezahlte. Er sah mich freundlich an und wischte mit dem Arm durch die Luft, eine Gebärde, aus der nicht ersichtlich war, ob die Deitschen verscheucht worden waren oder sich aus irgendwelchen Gründen in Luft aufgelöst hatten. Sein Gesicht wurde bekümmert, als er sah, dass ich seine Wegbeschreibung zum Friedhof nicht verstand.
    Durch ein großes Tor an der Hauptstraße von Senta trat ich in einen Hof mit Blumen, trocknender Wäsche, Obstbäumen, ein Katzenhof, der sich in der Tiefe in grünem Gestrüpp verlor, gesäumt von eingeschossigen Hinter- und Gartenhäusern auf der einen Seite und der Brandmauer des Nachbarhauses auf der anderen. Es wurde Abend, an einer Hinterhausveranda zupfte eine alte Frau an den ersten Geranien, Radiostimmen drangen aus den Hoffenstern, es roch nach Paprika und Zwiebel, Kümmel und Öl.
    Im ersten Stock des Vorderhauses war ein Zimmer frei, ein Fremdenzimmer für durchreisende Gäste mit Blick auf Baumkronen, Geschäftsschilder, Straßenlaternen, eine Gartenwirtschaft in der Ferne, wo die Straße sich stadtauswärts gabelte. In den Zimmern zur Straße roch es nach Kuchen, nach den makellosen Marmorkuchen ferner Zeiten, ein Geruch, der in den Häkeldeckchen saß und den schwarz angelaufenen Zwischenräumen der Silberranken, die sich um Familienfotos legten. Die Zimmerwirtin hieß Frau Genya. Sie war grauhaarig und höflich, tupfte mit dem Handrücken auf die großen Kissen, die bezogen auf dem Bett bereitlagen, strich und tätschelte das für ihre Zufallsgäste gerichtete Bett, als wollte sie ihm Mut zusprechen. Auf dem Bett türmte sich Bettzeug

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