Band 2 - Blutspiel
schockiert. Er glühte schwarz?
»Geh da nicht raus«, warnte er mich, und ich hörte Angst in seiner Stimme. »Geh hinten raus, nimm den nächsten Bus, versteck dich bei Nick.«
Mein Blick flog zur Eingangstür, als ich Ivy erneut würgen hörte und neben dem gequälten Keuchen Schluchzer laut wurden.
»Was ist passiert?«, fragte ich zaghaft.
»Sie ist wieder drauf.«
Ich starrte ihn verständnislos an. »Was?«
»Sie ist wieder drauf«, wiederholte er. »Sie zieht sich den H-Saft rein, sie verkostet den Wein. Sie praktiziert wieder, Rachel, und ist deswegen vol kommen durchgedreht. Hau ab. Meine Familie wartet an der hinteren Gartenmauer, bring sie für mich zu Nick. Ich werde hierbleiben und sie im Auge behalten. Damit sie nicht -« Er schaute ängstlich zur Tür. »Ich werde aufpassen, dass sie dir nicht folgt.«
Draußen hörte Ivy plötzlich auf zu würgen. Ich stand in Schlafanzug und Bademantel mitten im Altarraum und lauschte. Totenstil e hatte sich ausgebreitet, und mit ihr kam die Panik und zog an meinen Eingeweiden. Dann war da ein leises Geräusch zu hören, das ich bald als Weinen identifizierte.
»Lass mich durch«, flüsterte ich und ging an Jenks vorbei.
Mit klopfendem Herzen und weichen Knien öffnete ich die schwere Tür.
Das schwache Licht der Straßenlaternen reichte aus, um mir den bemitleidenswerten Anblick zu zeigen: Tief im Schatten der Eichen lag Ivy in ihren Motorradklamotten auf dem Boden. Sie hatte es nur bis zur untersten Stufe der Treppe geschafft, bevor sie zusammengebrochen und hilflos liegen geblieben war. Das dunkle, zähflüssige Ergebnis ihrer Würgeattacken war über die Treppe verteilt und tropfte in dicken Klumpen auf den Gehweg. Der süßliche Geruch von Blut überlagerte sogar meine Zitruswolke.
Ich raffte den Bademantel und ging die Treppe hinunter, mit einer Ruhe und Entschlossenheit, die sich nur nach der schlimmsten Angst einstel t.
»Rachel!«, schrie Jenks. »Du kannst ihr nicht helfen, hau ab!«
Ich zögerte, als ich Ivy erreichte und sie betrachtete. Ihre langen Beine waren merkwürdig verdreht, und ihre Haare hingen in der widerlichen dunklen Brühe. Das heftige Schluchzen war zu einem lautlosen, krampfartigen Weinen geworden. Gott steh mir bei. Lass mich das durchhalten.
Mit angehaltenem Atem packte ich sie von hinten unter den Armen und versuchte, sie auf die Füße zu stel en. Sie zuckte zusammen, als ich sie berührte, aber dann schien sie mich für einen Moment wahrzunehmen. Taumelnd versuchte sie aufzustehen. »Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht wil «, krächzte sie. »Ich habe nein gesagt.«
In mir zog sich al es zusammen, als ich ihre Stimme hörte, sie klang vol kommen verwirrt. Der stechende Geruch des Erbrochenen drang in meinen Hals, doch darunter erkannte ich den Geruch feuchter Erde und Ivys eigenen Ascheduft.
Als ich sie aufrichtete, kam Jenks zu uns raus und begann, mich zu umkreisen. »Vorsichtig«, flüsterte er mir immer wieder ins Ohr. »Sei vorsichtig. Ich kann sie nicht aufhalten, wenn sie dich angreift.«
»Sie wird mir nichts tun«, erwiderte ich gereizt. »Sie ist nicht rückfäl ig geworden, hör ihr doch zu. Jemand hat sie gezwungen.«
Als wir die oberste Stufe erreichten, wurde Ivy von Krämpfen geschüttelt. Sie wol te sich an der Tür abstützen, riss aber die Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt. Wie ein verletztes Tier wand sie sich aus meinem Griff. Keuchend wich ich vor ihr zurück. Ihr Kruzifix war verschwunden.
Sie richtete sich langsam auf und starrte mich an. Mir wurde eiskalt. Ihre schwarzen Augen waren vol kommen leer.
Dann flackerte Hunger in ihnen auf, und sie sprang.
Ich hatte nicht die geringste Chance.
Ivy packte mich am Hals und drückte mich mit dem Rücken an die Kirchentür. Mir schoss das Adrenalin ins Blut.
Unerbittlich presste sie mich gegen das Holz, und ich versuchte verzweifelt Luft zu holen. Ich wol te um mich treten, aber Ivy schob sich näher heran und drückte sich an mich, sodass ich durch den Stoff ihre Körperwärme spürte.
Heiß, sie war viel zu heiß. Panisch zerrte ich an ihren Fingern, um den eisernen Griff um meine Kehle zu lockern.
Hilflos starrte ich in ihre Augen. Sie waren vol kommen schwarz. Angst, Verzweiflung und Hunger brannten darin, aber von Ivy selbst war nichts übrig geblieben. Überhaupt nichts.
»Er hat es mir befohlen«, sagte sie weich. Ihr Ton passte so gar nicht zu dem von Hunger verzerrten Gesicht. »Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht wil
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