Band 2 - Blutspiel
bis Mitternacht dauerte, aber größtenteils war der anerzogene Selbsterhaltungstrieb dafür verantwortlich.
Jeder Inderlander über vierzig hatte seine Kindheit damit verbracht, zu verbergen, dass er kein Mensch war. Die Angst der Gejagten, zu denen in diesem Fal selbst die Vampire gehörten, ließ sich nicht so schnel ablegen. So wurde hier freitags von unwil igen Teenagern der Rasen gemäht, samstags wurden pflichtbewusst die Autos gewaschen, und dienstags lag der Mül in geordneten Haufen an der Bordsteinkante. Aber wann immer die Stadtverwaltung die Straßenlaternen instand setzte, wurden sie kurze Zeit später entweder mit einer Pistole oder durch einen Zauber wieder außer Betrieb genommen. Und wenn ein streunender Hund vorbeilief, wurde nicht der Tierschutzverein gerufen, denn es konnte ja eventuel das Nachbarskind sein, das mal wieder die Schule schwänzte.
Die gefährliche Seite der Hol ows wurde stets sorgfältig verschleiert. Um den Sicherheit versprechenden Anschein von Normalität aufrechtzuerhalten, hatten die Menschen gewisse Grenzen gezogen. Wenn wir die zu weit überschritten, würden die alten Ängste wieder geweckt und die Menschen würden zum Angriff übergehen. Sie würden diesen Kampf zwar verlieren, aber die Inderlander schätzten das bestehende Kräfteverhältnis und wol ten es nicht in Gefahr bringen. Gäbe es weniger Menschen, würden sich die Vampire andere Opfer suchen, um ihr uraltes, drängendes Bedürfnis zu stil en. Dann wären die Hexen und Tiermenschen an der Reihe. Auch wenn es hier und da eine Hexe gab, die insgeheim den vampirischen Lebensstil
»genoss«, so hielten wir doch zusammen und versuchten die Vampire abzuwehren, wenn sie uns in Futter verwandeln wol ten. Die älteren Vampire wussten das und achteten deshalb darauf, dass al e nach den Regeln der Menschen spielten.
Glücklicherweise haben sich die brutaleren Inderlander inzwischen an den Rand der Hol ows verzogen und leben jetzt nicht mehr in unserer Nähe. Die Amüsiermeile entlang der beiden Flussufer ist besonders gefährlich, da die gut gelaunten menschlichen Nachtschwärmer die gefährlichen Inderlander anziehen wie ein Signalfeuer in einer kalten Nacht, wie ein Versprechen von Wärme und Leben. Hier ist das Jagdrevier der Vampire.
Heute unterscheiden sich unsere Häuser kaum von denen der Menschen. Inderlander, die sich zu weit von dem scheinbaren Lebensstil eines Mr. Mustermann entfernten, wurden durch eine ziemlich einzigartige Nachbarschaftsinitiative dazu gebracht, sich entweder anzupassen - oder aufs Land zu ziehen, wo sie keinen großen Schaden anrichten konnten.
Ich betrachtete das humorige Schild, das aus einem Fingerhutbeet ragte. TAGSCHLÄFER: HAUSIERER WERDEN
GEFRESSEN - ODER ZUMINDEST ANGEKNABBERT.
»Sie können da vorne rechts parken«, sagte ich und deutete mit dem Finger in die Richtung. Glenn zog die Augenbraue hoch. »Ich dachte, wir fahren zu Ihrem Büro.«
Jenks sauste von meinem Ohrring zum Rückspiegel. »Ganz genau«, spottete er.
Glenn kratzte sich die Bartstoppeln. »Sie führen Ihre Agentur von einem Wohnhaus aus?«
Sein herablassender Ton ging mir auf die Nerven. »So ungefähr. Parken sie einfach irgendwo hier.«
Er hielt vor Keasleys Haus, der in der Nachbarschaft als der
»weise Alte« bekannt war. Keasley verfügte sowohl über die medizinische Ausrüstung, als auch über das Know-how einer kleinen Notaufnahme und versorgte jeden, der sein Maul halten konnte. Gegenüber von seinem Haus befand sich eine kleine Kirche, deren Turm weit über zwei gigantische Eichen hinausragte. Sie stand auf mehreren Kraftzentren und hatte ihren eigenen Friedhof.
Die Idee, eine ausgediente Kirche zu mieten, kam von Ivy, nicht von mir. Ich musste mich eine Zeit lang daran gewöhnen, beim Blick aus den kleinen Buntglasfenstern meines Schlafzimmers auf Grabsteine zu schauen, aber die Küche entschädigte mich dafür, dass tote Menschen im Garten lagen.
Glenn stel te den Motor ab, und absolute Stil e breitete sich aus. Bevor ich aus dem Auto stieg, scannte ich die Vorgärten der Nachbarschaft. Diese Vorsichtsmaßnahme hatte ich mir vor nicht al zu langer Zeit angewöhnt, als ich noch auf der Abschussliste der I. S. stand. Es war sicherlich nicht unklug, sie beizubehalten. Wie so oft saß der alte Keasley auf seiner Veranda, wippte in seinem Schaukelstuhl und behielt die Straße im Auge. Ich winkte ihm zu, und er erwiderte den Gruß mit erhobener Hand. Fal s nötig, hätte er mich vor Gefahren
Weitere Kostenlose Bücher