Banditenliebe
in dieser Wohnung in Lugano lebte, hatte ich mir das zur Gewohnheit gemacht. Es half mir nachzudenken.
Beniamino war vor wenigen Stunden aus Beirut eingetroffen, wo er und Sylvie bei einer mächtigen Drusenfamilie Unterschlupf gefunden hatten, mit denen er zu Zeiten des Bürgerkriegs Schnaps und Zigaretten geschmuggelt hatte.
Zwei Jahre und sechs Tage waren vergangen, seit wir Sylvie befreit hatten und gezwungen waren, von der Bildfläche zu verschwinden. Der alte Schmuggler hatte Villa und Motorboot verkauft, Max und ich das ganze Haus mitsamt den Wohnungen und dem Winkel: flüssige Mittel, um vor der Rache der Kosovaren, Greta Gardners und all jener zu fliehen, die uns beseitigen wollten. Auch vierundzwanzig Monate nach unserem Eindringen in das Haus in Corenc hatten wir die komplexe Geschichte noch nicht restlos entschlüsselt.
Angesichts des Leichnams von Fatjion Bytyçi war uns jedenfalls klar gewesen, dass es keinen Zweck hatte, uns abschlachten zu lassen, und wir hatten uns in Sicherheit gebracht. Um uns vor den Kugeln dieser kriminellen Organisationen zu schützen, teilten wir uns auf und brachen jegliche Verbindung zum früheren Leben ab. In Zeiten der Sicherheitstechnologie vor den Bullen zu fliehen, wäre sehr viel schwieriger gewesen.
Max La Memoria hatte sich gar nicht allzu weit von Padua entfernt. Er hatte in Fratta Polesine Unterschlupf gefunden, einem Dorf voll alter Villen und Erinnerungen an Freiheitskämpfer und Sozialisten. Er hatte seine Unterlagen geordnet und sich mit einem jungen Architekten angefreundet, auch mit dessen Familie und Freunden, mit denen zusammen er jetzt einen Wein namens Incrocio Cagnoni zog. Sie träumten davon, den ersten Brandy der Region zu destillieren.
Ich war über die Schweizer Grenze nach Lugano gegangen, in der Überzeugung, das sei der passende Ort, um die Entwicklung der Ereignisse abzuwarten. Dort hat die Zeit einen anderen Rhythmus.
Ich hatte recht gehabt. »Wo nie etwas vorfällt«, überschrieb ich einmal eine Mail an Max. »Wochen und Monate ziehen an einem vorbei, ohne eine Spur zu hinterlassen. Falls Schicksal oder Zerstreutheit mich dazu zwingen, bis ans Ende meiner Tage hierzubleiben, ich würde es nicht bereuen.«
Dabei langweilte ich mich nicht einmal. Spaziergänge, Bars, Konzerte, Theater, Kino, viele Zeitungen, manche Bücher. Ich lebte wie ein Gespenst, oder wie ein Tourist, der Gefallen daran gefunden hat und nicht in seinen Alltag zurückgekehrt ist. Auch wenn es bei mir einen »Alltag« nie wirklich gegeben hatte, höchstens den Anschein davon, wenn ich die Geschäfte des Winkels führte und gerade kein Fall zu bearbeiten war.
Ich war nie ein »Normalbürger« gewesen und hatte auch nie davon geträumt, einer zu sein. Als junger Mann, ich sang in den Kneipen Blues, hatte es nicht viel gebraucht, damit mir klar wurde, dass meine weiße Stimme nicht für eine Karriere genügte. Ich hätte mir also etwas ausdenken müssen, um ohne große Erschütterungen alt zu werden.
Aber das Gefängnis hatte mir das Spiel durchkreuzt. Als ich herauskam, trieb mich die Leidenschaft für die Wahrheit zur Laufbahn eines Privatermittlers. Doch auch diese Art, mich durchzuschlagen, war irgendwann zur Routine geworden. Ich hatte ein Gleichgewicht gefunden und hätte noch lange so weitermachen können, eigentlich bis ich mich zur Ruhe gesetzt hätte. Ich hatte sogar begonnen, ein paar Ersparnisse zur Seite zu legen. Der Tod des kosovarischen Mafiosos hatte alles über den Haufen geworfen.
Zu jenem Zeitpunkt hatte Lugano mich in seine träge, verschlafene und säuberliche Schönheit eingehüllt und so den Verlust der Vergangenheit und die Ungewissheit der Zukunft weniger schmerzlich werden lassen.
In Wahrheit war es nicht ganz so gelaufen. Virna hatte auch ihren Anteil daran, sie war mein einziger Verstoß gegen die grundlegendsten Sicherheitsvorkehrungen. Der Umstand, dass ich meine Sammlung von Blues- LP s und - CD s in zuverlässige Hände geben musste, hatte mich dazu gebracht, an ihrer neuen Wohnung zu klingeln. Anfangs hatte sie mich als Idioten bezeichnet, dass ich mich in einen Schlamassel gebracht hatte, der mich zur Flucht zwang, dann hatte sie sich bereit erklärt, diesen wesentlichen Teil meines Lebens in Obhut zu nehmen, und am Ende steckte sie mir sogar einen Zettel mit ihrer Mail-Adresse in die Tasche.
Monate später, ich saß auf einem Barhocker in einem Fünfsternehotel, war mir eine Frau aufgefallen, die den Internet-Point benutzte.
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