Banditenliebe
gedämpfte Schreie, die ihren Mann rief.
»Sucht diesen Scheißschlüssel!«, schrie der Schmuggler und wies auf eine Tür.
Wir betraten eine Art Arbeitszimmer, darin zwei Leichen. Die erste auf einem üppigen weißen Teppich, der schlecht zu der sich unter dem Körper ausbreitenden Blutlache passte, die andere auf einem Sessel hinter dem großen Schreibtisch. Drei, vier Schüsse in die Brust.
Ich wies meinen Partner auf ihn hin. »Den kenne ich.«
»Das ist Fatjion Bytyçi. Die Villa gehört der Kosovo-Mafia.«
Ich trat zum Sohn des Paten von Peja und durchsuchte seine Taschen. Nichts. Mir fiel seine Halskette auf, die auf dem Foto in der Zeitung nicht zu sehen gewesen war. An ihr fand ich einen kurzen, flachen Schlüssel in Schmetterlingsform.
»Gefunden!«, rief ich und lief hinüber.
Rossini entriss ihn mir und steckte ihn ins Schloss. Die Tür sprang auf, und es erschien das Gespenst der Frau, die wir kannten.
Er wollte sie umarmen, hielt dann aber inne, aus Angst, dass sie zu zerbrechlich sein könnte. Sie bemerkte es, bedeckte ihr Gesicht und brach in Tränen aus.
Beniamino legte das Gewehr zu Boden. »Amore mio«, flüsterte er und zog sie sanft an sich.
»Wir müssen los«, sagte Luc.
Er hatte recht. Ich sah mich um. Der Dicke war noch draußen. Er durchsuchte im Arbeitszimmer die Schubladen.
»Lass sein. Wir müssen gehen.«
»Warum war Sylvie die Gefangene von Fatjion Bytyçi? Ist das nicht ein unglaubliches Zusammentreffen?«
»Mag sein. Da denke ich drüber nach, wenn ich nicht mehr riskieren muss, den Rest meines Lebens in einem französischen Knast zuzubringen!«
Zwei Autos, zwei Gruppen. Ich fuhr Beniamino und Sylvie, sie ohne Schuhe und in eine Decke gehüllt. Die beiden Marseiller fuhren mit Max.
»Ich bin so glücklich, dich wiederzusehen«, sagte ich zu ihr. »Du glaubst gar nicht, wie sehr.«
Sie streckte die Hand aus und berührte mein Haar. Beniamino beschwor die ganze Zeit seine Liebe, bis wir die anderen Wagen erreichten. Da schlüpfte Christine zu uns herein, küsste Sylvie, fuhr dann mit ihrem Mann weiter. Sie würden die Gewehre in der Isère entsorgen, dann direkt nach Hause fahren.
Sylvie war nicht imstande, bis nach Punta Sabbioni zu reisen. Sie musste sich erst erholen. Beide wollten so lange in der Wohnung in Chambéry bleiben wie nötig. Beniamino trug sie in die Wohnung, als wäre sie ein kleines Kind, und brachte sie im größeren Zimmer zu Bett.
Max und ich wollten uns von ihr verabschieden, aber sie drehte sich ostentativ zur Wand. Begreiflich.
»Sag ihr, dass wir sie lieben.«
»Wenn es passt«, sagte Beniamino etwas ausweichend. Er war zugleich glücklich und am Boden zerstört. Er war nicht darauf gefasst gewesen, sie derart verwüstet zu sehen. Wir auch nicht. Genau bedacht, hätte es uns jedoch nicht überraschen dürfen.
»Eins musst du wissen«, sagte der Dicke. »Der Tote hinterm Schreibtisch, das war Fatjion Bytyçi.«
»Und?«
»Um ihn und die Männer seines Clans aus dem Knast zu holen, war der Drogenraub aus der Rechtsmedizin unternommen worden.«
»Okay, und was soll ich damit?«
»Du sollst verstehen, dass das offene Rechnungen gibt. Wir müssen begreifen, in was für ein Spiel wir geraten sind …«
Der alte Rossini packte ihn bei den Armen. »Hör her. Ich denke jetzt nur an Sylvie, alles andere ist mir scheißegal.«
»Das sieht die Kosovo-Mafia vielleicht anders.«
Seine Augen füllten sich mit Tränen. »Da liegt die Frau, die ich liebe und die mich braucht, und du gehst mir mit diesem Schwachsinn auf den Sack?«
Max sah mich ratlos an.
»Du hast recht«, sagte ich und schob meinen Partner gen Ausgang. »Melde dich, sobald du magst.«
Lugano, Samstag, 28. Dezember 2008
»Mein Geld geht zu Ende«, seufzte Rossini.
»Schöner Mist«, sagte Max. »Und wie geht es Sylvie?«
Der alte Bandit suchte nach den passenden Worten. »Sie hat nicht mehr getanzt. Aber das ist es nicht allein, auch im Leben bewegt sie sich nicht mehr wie vorher. Sie hat nicht mehr Fuß gefasst.«
Die Lippen verbittert zusammengepresst, die Augen lachten nicht mehr wie früher: die deutlichsten Zeichen der Niederlage. Und Niederlagen war der alte Rossini nicht gewohnt.
Er würde es nie schaffen, Sylvie zu heilen, aber er würde den Versuch auch nie aufgeben. Er würde für immer an ihrer Seite bleiben, auch wenn ihn das zu einer Hölle verurteilte. Das war seine Art zu lieben. Banditenliebe.
Ich drehte mich zum Fenster, um über den See zu blicken. Seit ich
Weitere Kostenlose Bücher