Bangkok Tattoo
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Wir Thais legen anders als ihr Westler keinen Wert auf die zwanghafte Manifestation von Gefühlen durch das Verziehen der Gesichtsmuskulatur. Der endgültige Abschied von Chanya und Thanee findet auf dem Parkplatz vor Thanees Wohnhaus statt. Sein Chauffeur, ein Thai, wird sie nach Hause bringen. Beide sind ernst und vergießen keine Tränen beim letzten Kuß, obwohl sie wissen, daß sie sich nie wiedersehen werden.
In genau dem Augenblick, in dem Thanees Flugzeug abhebt, ruft Mitch Turner Chanya in ihrer Wohnung an, wo sie gerade fernsieht.
»Hallo«, sagt er mit trockener, unnatürlich hoher Stimme. »Ich hoffe, ich störe nicht. Wahrscheinlich haben Sie nicht damit gerechnet, von mir zu hören, doch soweit ich weiß, verläßt Thanee gerade das Land, und ich dachte … na ja, vielleicht sind Sie ein bißchen niedergeschlagen. Möglicherweise haben Sie ja im Moment viel zu tun, aber wenn nicht: Dürfte ich Sie auf einen Drink oder einen Happen zu essen einladen?«
»Vergiß es«, sagt Chanya, legt auf und wendet sich wieder den Simpsons zu, deren skurrilen Humor sie gerade erst zu verstehen beginnt.
Der farang ist hartnäckig, das kann man sagen. Er verfolgt sie nicht wirklich, dazu ist er zu klug, wählt aber sorgfältig die Momente, in denen er einfach auftaucht. Thanee hat Chanya von Mitch Turners Tätigkeit als verdeckter CIA-Ermittler erzählt, in der er die Rolle des Washingtoner Diplomaten spielt und mit Lobbyisten und ausländischen Würdenträgern verkehrt. Sie fragt sich, ob Turner nicht seine dienstlichen Privilegien mißbraucht, so unheimlich sind die Zufälle, die sie immer wieder zusammenführen. Ein Thai in seinem Zustand der kaum noch zügelbaren Lust (ihr Ausdruck, nicht der Turners) würde mit Sicherheit früher oder später zu drastischen Maßnahmen greifen. Turner wäre ohne weiteres in der Lage, ihren Paß und ihr Visum über die CIA-Datenbank zu überprüfen und ihr die Ausweisung anzudrohen, falls sie ihm nicht zu Willen sei. Sie rechnet es ihm hoch an, daß er es nicht tut. Nein, er verhält sich wie ein verliebter, wenn auch hartnäckiger Gentleman. Von einem sorgfältig gewählten Tisch in ihrem Lieblingscafé aus erhält sie einen Anruf von ihm: »Ich wollte nur hören, wie’s Ihnen geht, keine Angst. Soll ich wieder auflegen?«
»Nein, nein, schon in Ordnung. Ich muß mich für meine Unhöflichkeit entschuldigen; es war einfach ein schlechter Moment. Danke für den Anruf.«
»Vielleicht irgendwann, wenn Sie über die Trennung von ihm hinweg sind?«
»Vielleicht.«
Sie legt das Telefon mit müdem Lächeln weg. Der romantische farang meint also, sie weine sich die Augen nach Thanee aus. Nun, sie trauert tatsächlich um ihn, aber Trauer kann viele Formen haben. Wenn man bei Kleinbauern aufgewachsen ist, erscheint Liebeskummer wie Luxus, und da wäre noch ein Problem: Thanee hat die nächsten drei Monate die Miete für ihre kleine Wohnung bezahlt und ihr zusätzlich zu dem Gold und der teuren Kleidung zehntausend Dollar dagelassen. Abgesehen davon hat sie noch die dreißigtausend aus Las Vegas. Doch wenn die Mietvorauszahlung und das Geld ausgeschöpft sind, muß sie wieder bei Null anfangen. Eine Woche, nachdem Thanee weg ist, ruft sie Wan an, um zu fragen, ob es freie Stellen in der Hotelsauna gibt, in der sie arbeitet.
Wan arrangiert ein Gespräch mit dem Chef, einem Hongkong-Chinesen, der Chanyas Potential sofort erkennt. Samson Yip macht ihr klar, daß dies Amerika ist, nicht Asien, am allerwenigsten Thailand: Hier wimmelt es von Bundespolizei, die sich besonders für Asiatinnen in Massagesalons und Saunen interessiert. Manche der Kunden sind beim FBI und würden den Laden gern ausheben. Schon der geringste Hinweis auf eine erotische Annäherung ihrerseits wäre ein Desaster, nicht nur für sie, sondern auch für ihn, Samson Yip. Der kleingewachsene dicke Yip beweist im Hinblick auf Goldschmuck keinerlei Zurückhaltung. Seine Halskette ist noch klobiger als ihre und um etliches häßlicher. Als Thai kennt sie die chinesische Psyche. Er ist rücksichtslos und geldgierig, aber ehrlich, und wird nicht versuchen, sie übers Ohr zu hauen. Im Gegenzug soll sie es lieber nicht wagen, ihn zu betrügen, wenn sie in Amerika bleiben möchte. Verstanden? Wunderbar.
Mehr als die Hälfte der Männer, die den Massagesalon oder die Sauna besuchen, kommt aus dem Ausland. Es sind ein paar kultivierte Europäer, besonders Franzosen und Italiener, darunter, mit denen eine unausgesprochene
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