Bank, Banker, Bankrott. Storys aus der Welt der Abzocker
Äbersold, ich weiß auch, welche starke Erkenntnis da auf der Hand lag: Dieses nette Core-Satellite-Modell führt mit großer Wahrscheinlichkeit zur Kernschmelze im Kundendepot. Um das zu erkennen, muss man ja kein Einstein sein. Um so etwas zu basteln, muss man ja dumm wie ein Baum sein, schüttelte Äbersold nochmals den Kopf, und selbst ein Schimpanse würde nach kürzerem Kopfkratzen diese »Reaktion auf die aktuelle Marktlage« als Beleidigung seiner Intelligenz erkennen.
Aber das half ja alles nichts, Dienst ist Dienst, riss sich Äbersold zusammen und wählte die erste Nummer auf seiner Liste: »Grüezi, Herr Zurfluh, hier Äbersold. Lassen Sie mich gleich zur Sache kommen; hatten Sie schon Gelegenheit, unser neues Anlagemodell zu studieren? Ja, genau, wir haben Sie ja mit einer Broschüre dokumentiert, die seine Vorzüge prägnant zusammenfasst, nicht wahr? Genau, ich sage da immer: Wer bei bewölktem Himmel sät, erntet bei Sonnenschein«, las Äbersold dann vom Kundengesprächmanual ab, wobei es ihn innerlich schüttelte, »was sich in der Natur über Jahrtausende bewährt hat, kann gerade in der aktuellen Situation der Finanzmärkte nicht falsch sein, und da hätte ich einen maßgeschneiderten Vorschlag für Sie, der auf Ihre persönliche Lebenssituation … Herr Zurfluh? Hallo?«
Wusste ich doch, dass Zurfluh nicht ganz blöd ist, dachte Äbersold und legte ebenfalls den Hörer auf.
Dreiundsechzig
So was wie heute ist mir wirklich schon lange nicht mehr passiert, ärgerte sich Kuster. Missmutig betrachtete er den strahlenden Sommertag, der vor den Panzerglasscheiben seines Büros an der Bahnhofstrasse aufzog.
Nostalgisch rief er seinen Terminkalender des vergangenen Jahres auf. Klickte auf Jahresübersicht und betrachtete wohlgefällig das Gesamtkunstwerk, das ihm da gelungen war. Grün leuchteten die Tage, die er als Offizier mit Dienst für die Eidgenossenschaft verbracht hatte, blau die Ferientage, hellrosa alle Tage, die er unterwegs auf Kundenakquisition gewesen war, violett die Tage, an denen er an obligatorischen Events wie dem White Turf, dem Tennisturnier in Gstaad, der Saisoneröffnung in den Hamptons und anderen Musts teilgenommen hatte, rot waren die zehn Tage eingetragen, an denen er sich krank genommen hatte oder tatsächlich krank war, Grau stand für die Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsseminaren, und dazwischen gab es einige kleine Inseln von schwarzen Tagen, an denen er zumindest offiziell hier an seinem Schreibtisch gesessen hatte.
Kuster gab den Befehl für zählen plus schwarz ein und kicherte befriedigt, als er die Summe sah: dreiundsiebzig. Und auch davon konnte man ja mindestens noch mal die Hälfte abziehen, grinste Kuster in sich hinein, auf diesem Gebiet waren sein Assistent Müller und die zweite Pfeife in seinem Vorzimmer wirklich unschlagbar. Meine chinesische Mauer, wie sie Kuster in seinen wenigen menschenfreundlichen Momenten nannte.
Denn wenn er zwar offiziell am Pult saß, inoffiziell aber seine Garderobe vervollständigte, sich eine neue Golfausrüstung anschaffte, ein mögliches neues Auto probefuhr oder einfach die Aussicht von der Terrasse seiner Loft auf den Zürichsee genoss, schmetterten die beiden jeden bankinternen Besucher ab, »Kuster ist gerade in einer sehr wichtigen Besprechung, kann unter keinen Umständen gestört werden«, oder leiteten ganz wichtige Anrufe auf sein Handy weiter, das Kuster extra mit einem Spezialmikrofon ausgerüstet hatte, das alle Umgebungsgeräusche rausfilterte.
Damit war ich dann letztes Jahr an sagenhaften, na sagen wir mal sechsunddreißig Tagen physisch präsent an meinem Arbeitsplatz, nickte Kuster. Aber er war noch längst nicht fertig mit seiner Rechnung. Denn schließlich benutzte er die Infrastruktur, die sein freundlicher Arbeitgeber ihm als Privatbanker zur Verfügung stellte, um seinen umfangreichen sozialen Verpflichtungen nachzugehen.
Denn als Präsident der Offiziersgesellschaft Zürcher Unterland, als Aktuar der Offiziersgesellschaft Schweiz, als Protokollführer des Rotary, als Mitglied des Eventkomitees des Kiwanis, als Vorstandsmitglied von sechs gemeinnützigen Stiftungen und vier Fressclubs, als Mitglied es Executive Boards von drei Golf- und zwei Tennisclubs, als Besitzer eines wohlgefüllten Weinkellers, der immer wieder Ergänzungen bedurfte, als Götti einer ganzen Kinderschar von Freunden, Geschäftspartnern und guten Kunden, und nicht zu vergessen seine Mitgliedschaften in diversen Yachtclubs,
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